Schwarz.Rot.Müll.-Mafia? Michael Billigs Buch polarisiert

Kein Land trennt seinen Abfall so akribisch wie Deutschland; hiesige Deponien zählen zu den sichersten Endlagern der Welt. Dennoch gab und gibt es illegale Müllentsorgungen unter Umgehung von Kontrollen und Gesetzen, wie das Buch „Schwarz.Rot.Müll.“ von Michael Billig zeigt.

Müllbarone und Grubenkämpfe

Abb.: Verlag Herder GmbH

Eines wird dem Leser schon auf den ersten Seiten klar: Hier hat jemand akribisch Zahlen und Fakten zu Umweltvergehen der Entsorgungsbranche zusammengetragen, zumindest was das erste Jahrzehnt dieses Jahrhunderts anlangt. Denn die Jahre zwischen 2006 und 2009 gelten Michael Billig als „Boomjahre der innerdeutschen Abfallverschiebung“. Aus diesem Zeitraum wird von „Müllbaronen“ wie dem Ex-Polizisten Roland V. oder „Müllpaten“ wie Gert N. berichtet, werden Umdeklarierungen von Kunststoff-, Misch- und gefährlichen Abfällen zu harmlosen mineralischen 191209-Abfällen aufgedeckt, detailliert die Hintergründe von „Grubenkämpfen“ um illegale Deponierung aufgeführt und die „Kumpanei und falsche Verbundenheit“ sowie die „stillschweigende Duldung von Verklappungen“ durch zuständige Behörden beleuchtet. Der Autor spricht des Weiteren von einer „Drehscheibe der bundesweiten Abfallverschiebung“, zeigt die Spuren von belastetem „Italo-Müll“ vor allem aus Kampanien auf, stellt bloß, wie sich die Bundesregierung angesichts eines drohenden Vertragsverletzungsverfahrens durch die EU-Kommission herauszureden versuchte, und schildert, wie zäh vor Gericht die Beweisaufnahme für Müllschiebereien abläuft und wie unangemessen die Urteile ausfallen.

Die Spitze eines Müllbergs

Diese und ähnliche Vorfälle hat Billig insbesondere aus Brandenburg zusammengetragen. Wobei sein Verdacht, dass es sich hier nicht nur um eine Handvoll von Einzelfällen handelt, dadurch erhärtet wird, dass das Bundeskriminalamt in einer Sonderauswertung allein bis 2012 insgesamt 59 Fälle in zehn Bundesländern feststellte. Dabei dreht es sich laut BKA um vier Millionen Tonnen für den Zeitraum 2005 bis 2011. In jüngeren „Tatkomplexen“, bei denen Abfälle aus dem legalen Entsorgungssystem ausgeschleust wurden – im Einzelnen: „Anlagen von kommunalen und privaten Sammlern, größtenteils in den alten Bundesländern, die Betriebe von Sortierern, EBS-Herstellern und Recyclingfirmen“ –, wurde „arbeitsteilig beziehungsweise gewerbs- und bandenmäßig zusammengewirkt“, zitiert Billig den Wortlaut der Sonderauswertung. Das sei nur die „Spitze eines riesigen schwarzen Müllbergs“, urteilt er. Und spricht von Deutschland als einer „Mafia-Republik“ in einer „Parallelgesellschaft“ mit „gut vernetzten Akteuren“.

Ein dreckiges Geschäft?

Die im Buch vertretene Ansicht Michael Billigs zur Ausbreitung von illegalen Verbringungen in der deutschen Abfallwirtschaft bleibt nicht unwidersprochen. Das kam in einer Diskussion Anfang Dezember 2019 im Radiosender SWR2 zum Thema „Versenkt, verbrannt, verbuddelt – Das dreckige Geschäft mit dem Müll“ zum Ausdruck. Neben Billig nahm daran teil: Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V., und Dr. Ulrich Stock, Abteilungsleiter Technischer Umweltschutz im brandenburgischen Landesamt für Umwelt. Stock bestand beispielsweise auf einer differenzierteren Einstufung von Deponien, als Billig sie vorgenommen hat: So gebe es erstens die – zahlenmäßig am größten – Vorhaltelager fürs Recycling von Abfällen, die nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSCH) genehmigt würden, zweitens Verkippungen in und Verfüllungen von Tagebauen zum Zweck der Verwertung, die unter Aufsicht der Bergbehörden stehen, und drittens dem Buchstabe nach Deponien, auf denen illegale Ablagerungen möglich sind. Und auch Eric Rehbock bestand darauf, dass die Gesetze ein sehr engmaschiges, funktionierendes und überwachtes Netz für Anlagen vorschreiben, die unter das BImSCH fallen. Grundsätzlich werde ausreichend kontrolliert; bei der Frequenz komme es aber vor allem auf den Grad der Gefährlichkeit der Materialien an.

Empfindlicher für Gesetzesverstöße

Die Benutzung des Wortes „mafiös“ zur Beschreibung der Abfallwirtschaft wies Stock damit zurück, dass es inzwischen „inflationär“ gebraucht werde. (Anmerkung: In welchem Maße die italienische Mafia tatsächlich in internationale Müllschiebereien verwickelt war, zeigt eindrücklich das Buch „Die Müll-Mafia“ von Sandro Mattioli und Andrea Palladino.) Die Branche – so Stock – sei die einzige, die keine Produkte herstellt, sondern Rohstoffe annimmt: Dies sei der betriebswirtschaftliche Schlüssel dafür, dass dieser Industriezweig „empfindlicher sei für Gesetzesverstöße“. Und Rehbock merkte an, dass das Sortieren von Abfällen – für wen auch immer – Geld kostet, sodass umherziehende Billiganbieter, deren Tun bei nicht-gefährlichen Abfällen Anzeige-, aber nicht BImSCH-pflichtig sei, schlechter überwachbar als feste Anlagen seien, weil keine örtliche Beschränkungen und keine Dokumentation von Lagermengen vorgeschrieben seien.

Auch Entsorgungsfachbetriebe beteiligt

Allerdings waren sich Billig und Stock darüber einig, dass bei der bandenmäßigen Verschiebung von Abfällen eine Kette von Erzeugern, Makler(n) und Entsorgungsunternehmen vonnöten ist, bei der auch BImSCH-Anlagen involviert sein können. Von möglicher Beihilfe seien auch Entsorgungsfachbetriebe nicht freizusprechen: Ihre Zertifizierung schütze nicht vor Kriminalität, sondern erleichtere sie vielmehr, indem sich die Betriebe selbst überwachen, Privilegien zur erleichterten Dokumentation von Abfallgeschäften besitzen und die Unternehmen weniger oder nur nach Papierlage kontrolliert werden. Immerhin – so Billig – seien bei den 59 vom BKA untersuchten Tatkomplexen in 30 Fällen Entsorgungsfachbetriebe beteiligt gewesen. Rehbock sah darin – angesichts vieler hundert solcher Betriebe – nur vereinzelte Verstöße, räumte allerdings ein, dass die Überprüfung von Genehmigungen und Betriebsabläufen – zumal im Ausland – nicht lückenlos möglich sei.

Müll produzieren die anderen

Was bei der Diskussion wie im Buch kaum zur Sprache kommt: Die schwarzen Schafe in der Abfallwirtschaft entsorgen zwar Müll illegal und zum Schaden von Allgemeinheit und Natur. Sie tragen aber nicht die Schuld daran, dass Müll produziert wird. Das tun andere: Verbraucher, deren Verpackungsabfälle seit Jahren steigen, und Industrie und Gewerbe, die über ihre Abfälle im gesetzlichen Rahmen frei verfügen können. Außerdem werden die Pfade, um diese Abfälle legal, wirtschaftlich rentabel und möglichst stofflich zu entsorgen, immer eingeschränkter: Das offizielle Deponievolumen nimmt in Deutschland stetig ab; Hartmut Haeming, Vorsitzender der InwesD – Interessengemeinschaft Deutsche Deponiebetreiber, prognostiziert die hiesigen Lagervolumen rein rechnerisch bis 2025 oder 2026 als ausgeschöpft und merkt an: „Eine ‚Nicht-Verwertbarkeit‘ darf nicht dazu führen, dass eine Verdrängung in den ‚günstigsten Entsorgungsweg‘ führt.“ Gleiches gilt für die Möglichkeit, heizwertreiche Abfälle zu verbrennen. Hier sind nach Ansicht von Eric Rehbock die Müllverbrennungsanlagen „völlig aus- bis überlastet“, sodass angesichts des hohen Preisniveaus Kriminelle günstigere Wege suchen, die inzwischen weniger zu Transporten nach Ostdeutschland als vielmehr zu Exporten nach Osteuropa geführt haben. Die ständig sich verschärfenden Umweltauflagen und Verwaltungsvorschriften tun ein Übriges, um die Rentabilität der hiesigen Recyclingwirtschaft zu beeinträchtigen.

Mehr Kontrolle, härtere Strafen

Michael Billig (Foto: privat / Verlag Herder GmbH)

In diesem Zusammenhang muss auch das Verdienst von „Schwarz.Rot.Müll“ gesehen werden. Das Buch deckt vom Ende der Entsorgungskette her auf, wo die Probleme eines legalen Umgangs mit Abfällen liegen beziehungsweise in der jüngsten Vergangenheit lagen. Es macht an Beispielen klar, inwieweit die Geldgier auch in Behörden und Entsorgerkreise zu mäandern vermag. Es deutet an, dass auch die europäische Gesetzgebung gut daran tut, schleunigst etwas an der Übergangsregelung zu ändern, die Mitgliedstaaten bis 2035 Zeit gibt, ihre Deponierungsquote auf zehn Prozent zu drosseln. Es ist ein Plädoyer für verschärfte, engmaschigere und proaktive Kontrollen schon im Vorfeld. Ulrich Stock tritt darüber hinaus für die Einführung eines generellen Bedarfsprinzips für Abfallentsorgungsanlagen ein, um Überkapazitäten zu verhindern, sowie finanzielle Instrumente für Finanzierung im Schadensfall, um die Abfallbranche selbst in die Pflicht zu nehmen. Und schließlich müsste – so Michael Billig – bei Gerichten und Staatsanwaltschaften aufgestockt und speziell geschult werden, um Müllsünder zweifelsfrei zu überführen und Verfahren zügiger abzuschließen. „Dann ist sicher auch mit härteren Strafen und einem größeren Abschreckungseffekt zu rechnen.“

Michael Billig, Schwarz.Rot.Müll. – Die schmutzigen Deals der deutschen Müllmafia, Freiburg im Breisgau 2019, ISBN 978-3-451-39494-2

(EU-Recycling 01/2020, Seite 7, Abb.: Verlag Herder GmbH)