Österreich debattiert über Drei-Punkte-Plan zur Plastikabfallvermeidung

Klimaschutzministerin Leonore Gewessler präsentierte am 7. September einen umfassenden Drei-Punkte-Plan gegen die „Plastikflut“. Um Kunststoffmüll in Zukunft zu vermeiden, sollen neben verpflichtenden Mehrwegquoten für den Einzelhandel auch ein Pfandsystem und eine Herstellerabgabe für die Erzeuger von Plastikverpackungen eingeführt werden. Diese Vorschläge trafen nicht überall auf Zustimmung.

Der Plan sieht erstens vor, den Anteil an Mehrweg-Getränkeverpackungen – typischerweise Mehrweg-Glasflaschen – im österreichischen Einzelhandel spürbar zu steigern. Die dafür festgelegten, verbindlichen Quoten sehen ab 2023 mindestens 25 Prozent, ab 2025 mindestens 40 Prozent und ab 2030 mindestens 55 Prozent Mehrweganteil vor. Zweitens ist vorgesehen, beim Kauf von Einweggetränke-Verpackungen wie Plastikflaschen und Dosen künftig Pfand zu erheben. Und drittens ist geplant, dem Verursacherprinzip folgend von Produzenten und Importeuren eine Abgabe in Höhe von durchschnittlich 80 Cent pro Kilogramm in Verkehr gebrachter Plastikverpackungen einzufordern. Dabei soll die Herstellerabgabe je nach Güte des Recyclingmaterials ökologisch gestaffelt werden.

Dreifacher Lenkungseffekt
Durch die Erhöhung des Mehrweganteils will das Ministerium für Konsumenten die Wahlfreiheit zwischen Mehrweg- und Einweg-Behältnissen steigern. Vom Einwegpfand erhofft man sich eine steigende Recyclingquote und geringere Abgaben hinsichtlich der sogenannten EU-Plastiksteuer. Und von der Herstellerabgabe erwartet das Ministerium einen dreifachen Lenkungseffekt, indem der Einsatz von alternativen Verpackungsstoffen sowie von Plastik mit Recyclinganteil belohnt wird, zu einer höheren Recyclingquote und so auch zu geringeren Herstellerabgaben führt.

Das Vorhaben, die Plastiksteuer ab 2021 von der Industrie und nicht den Steuerzahlern bezahlen zu lassen, befürwortet auch Greenpeace-Konsumexpertin Lisa Panhuber: „Die Konzerne, die uns mit Plastik zumüllen, müssen dafür auch bezahlen“ beziehungsweise dazu animiert werden, weniger Kunststoff in Umlauf zu bringen. Ihrer Ansicht nach führt mit diesem Plastik-Plan an Mehrweg in Österreich kein Weg mehr vorbei. Nun müsse auch die Blockier- und Verzögerungstaktik der Discounter ein Ende haben.

Kein Steuergeld rausschmeißen
Die Landessprecherin der niederösterreichischen Grünen, Helga Krismer, freut sich über den Vorstoß ihrer Parteikollegin Gewessler. Denn Millionen an die EU zu zahlen, nur weil kein umwelt- und klimagerechtes Plastikmanagement zustande kommt, wäre „rausgeschmissenes Steuergeld“. Das Geld werde benötigt, um die Corona-Krise gut zu bewältigen und um weiterhin in den Klimaschutz zu investieren.

Lena Steger, Ressourcensprecherin von Global 2000, befürwortet den Vorstoß der Klimaministerin. Maßnahmen für eine klima- und ressourcenschonende Zukunft seien längst überfällig. Auch ist sie dagegen, die EU-Steuer für nicht recycelbares Plastik mit dem Geld der Steuerzahler zu begleichen; das sei ein „fatales Zeichen“ und habe keinerlei Lenkungsfunktion: „Nur die Produzenten haben es in der Hand, recyclingfähiges Plastik zu produzieren.“ Und die geplante Herstellerabgabe sei „eine wirkungsvolle Maßnahme, damit die Plastikproduktion tatsächlich reduziert und die Recyclingfähigkeit verbessert wird“.

Chancen für mehr Kreislaufwirtschaft
Für Reclay Österreich entspricht der Drei-Punkte-Plan den aktuellen europäischen Trends in der Kreislaufwirtschaft. „Die Herstellerabgabe auf Plastikverpackungen steht im Einklang mit der geltenden EU-Plastikabgabe und zielt auf einen Ausbau des ökologischen Ansatzes in der österreichischen Kreislaufwirtschaft ab“, erklärte Eva Schneider, Leiterin der Abteilung Consulting und Recyclingfähigkeit beim heimischen Sammel- und Verwertungssystem. Die Abgabe biete für Hersteller und Abfüller eine Chance, mehr recyclingfähigere Verpackungen zu verwenden.

Der Oberösterreichische Landesabfallverband sieht durch eine Plastiksteuer die Möglichkeit, den Einsatz von Primärrohstoffen zu verteuern und damit den Wettbewerbsnachteil der Sekundärrohstoffe ein wenig auszugleichen. Allerdings sollten die vereinnahmten Gelder für die Entwicklung neuer, innovativer Recyclingtechnologien reinvestiert und der Anteil an Sekundärmaterial bei Kunststoffprodukten langfristig kontinuierlich gesteigert werden, um „den Absatzmärkten für Kunststoffrezyklate eine längerfristige Investitionssicherheit zu schaffen“, betonte der Verbandsvorsitzende Roland Wohlmuth.

Notwendige Kapazitäten freispielen
Die ÖPG Pfandsystemgesellschaft sieht sich in ihren Forderungen nach einem Ausbau der verpflichtenden Quote für Mehrwegverpackungen sowie die Einführung eines modernen Pfandsystems bestätigt. Das Pfand werde das Littering-Problem vermindern und gleichzeitig „dringend notwendige Kapazitäten in der heimischen Recyclingwirtschaft freispielen“, unterstrich Michael Ableidinger, ÖPG-Head of Public Affairs. Nun sei es an der Zeit, dafür einen Schulterschluss zwischen allen relevanten Akteuren der österreichischen Kreislaufwirtschaft zu bilden.

Die Arbeiterkammer Wien begrüßt die Vorschläge des Umweltministeriums. Werner Hochreiter von der AK-Abteilung Umwelt und Verkehr hält sie sogar für einen möglichen „Meilenstein bei der Plastikvermeidung“. Denn die Herstellerabgabe folge dem Verursacherprinzip und rege ein Umdenken bei den Lebensmittelkonzernen an.

Sicherheit gefordert
Nach Ansicht der Altstoff Recycling Austria AG (ARA) habe der Drei-Punkte-Plan grundsätzlich einen richtigen Schwerpunkt gesetzt. Allerdings sei für eine Kreislaufwirtschaft, die den Namen verdient, ein „visionäres Gesamtkonzept“ erforderlich. Benötigt werde eine Lösung zur Ressourcenschonung, die den österreichischen Unternehmen Planungs- und Investitionssicherheit gibt. Diese Sicherheit samt stabilen Rahmenbedingungen fordert auch der Verband Österreichischer Entsorgungsbetriebe (VOEB) für solche Unternehmen ein, die in Anlagen und Infrastruktur investieren und die Ressourcenwirtschaft am Laufen halten. Denn vor allem durch Investitionen in modernste Anlagen könne Recycling optimiert werden. Und nur eine österreichweit einheitliche Sammlung bei den Haushalten erziele eine Erhöhung der Sammelmenge. Ein Einwegpfand trage mengenmäßig wenig zur Lösung des Littering-Problems bei, zumal PET-Flaschen schon jetzt erfasst und behandelt würden. Stattdessen sollte die Politik sich besser Gedanken über einen funktionierenden Absatzmarkt für Sekundärrohstoffe machen und über eine Zweckbindung in Richtung Ökodesign als Lenkungsinstrument nachdenken, anstatt die Wirtschaft dreifach zu belasten, kritisierte VOEB-Präsidentin Gabriele Jüly.

Herstellerabgabe abgelehnt
Der Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs ist mit der Ministerin darin einig, dass Investitionen zur Erhöhung von Sammel-, Sortier- und Recyclingkapazitäten dringend gefragt sind, um Kunststoffrecycling in Österreich zu steigern. Der Herstellerabgabe aufgrund der EU-Plastiksteuer steht der FCIO jedoch ablehnend gegenüber, da davon kein Lenkungseffekt zur Eindämmung von Littering zu erwarten sei. Außerdem müsse aus Klimaschutzgründen auch Kunststoff als Verpackungsmaterial bedacht werden; hier sei „eine faktenbasierte Diskussion ohne ideologische Scheuklappen“ mit Rückgriff auf Ökobilanzen vonnöten. Mehrzweck dürfe kein Selbstzweck sein.

Die Plattform Verpackung mit Zukunft, ein Zusammenschluss österreichischer Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, erwartet von den geplanten Maßnahmen „negative Auswirkungen auf das Klima“. Zum einen, weil bei Transportdistanzen ab 150 Kilometern Mehrweglösungen für Kunststoffflaschen klimafreundlicher als solche mit Glasbehältern seien. Zum zweiten, weil die EU-Plastiksteuer auf nicht oder schlecht recycelbare Abfälle angewandt werden sollte und nicht auf gut recycelbare Verpackungen. Und drittens, weil alle Verpackungen – und nicht nur die aus Kunststoff – objektiv beurteilt, optimiert und gegebenenfalls mit einer Steuer belegt werden sollten. Darum lehnt die Plattform eine Abgabe für Hersteller von Plastikverpackungen ab. Lediglich könne die Einführung eines Pfandsystems für Einweggetränke-Flaschen dabei helfen, die Sammelquote zu steigern; aber auch hier sei vorher der Markt genau zu analysieren.

Politiker uneins
SPÖ-Umweltsprecherin Julia Herr zeigte sich hinsichtlich Mehrwegquote und Plastikpfand erfreut: Endlich müsse die Blockadepolitik der ÖVP enden. Es sei höchste Zeit, eine Kursänderung bei Pfand und Mehrwegquoten einzuleiten. Allerdings hofft sie, dass die Herstellerabgabe keine Privatmeinung von Ministerin Gewessler, sondern die Regierungsposition darstellt. Schließlich werde die Abgabe nur dann einen Lenkungseffekt erzielen, „wenn sie von jenen bezahlt wird, die selbst für die Plastikerzeugung zuständig sind“.

Die NEOS – Das Neue Österreich und Liberales Forum – begrüßen mit den Worten von Umweltsprecher Michael Bernhard grundsätzlich die Einführung eines Pfandsystems, unter der Voraussetzung, „dass dieses umfassend, innovations- und unternehmerfreundlich ist und von internationalen Erfahrungen gelernt wird“. Dazu diene keine Einzelmaßnahme, sondern eine breitere Plastikreduktionsstrategie im Einklang mit den Vorgaben des EU-Kreislaufwirtschaftspakets. Auch müsse das Verursacherprinzip bedacht werden: „Wer Müll macht, soll dafür zahlen und nicht die Allgemeinheit.“

Die FPÖ hält die Pläne der Umweltministerin für ein „reines Ablenkungsmanöver“. Anstatt einen Fahrplan für die Umsetzung eines Plastikpfandsystems zu präsentieren, würde man sich in Diskussionsprozesse und Täuschungsmanöver flüchten und versuchen, „in typisch grüner Manier“ mit Verboten und Abgaben zu arbeiten. Für die Einführung eines Plastikpfandes brauche es weder eine verpflichtende Quote für den Handel noch eine Herstellerabgabe, „die im Endeffekt wiederum der Bürger zu bezahlen habe“, kritisierte FPÖ-Umweltsprecher Walter Rauch.

Es scheint, als habe Klimaschutzministerin Leonore Gewessler eine Diskussion zu einem Thema losgetreten, über das in absehbarer Zukunft keine Einigkeit zu erzielen sein dürfte.

(EU-Recycling 10/2020, Seite 6, Foto: blackday / stock.adobe.com)

 

Anzeige