BDSV Jahrestagung 2021: „Mehr Schrott einsetzen – weil es einfach möglich ist“

Andreas Schwenter (Präsident), Stephan Karle (Stv. Präsident) und Stefanie Gottschick-Rieger (Schatzmeisterin) wurden für die nächsten drei Jahre in ihren Ämtern bestätigt (v.l.) (Foto: BDSV)

So lautete die Botschaft von Andreas Schwenter: Schrott werde nicht verbraucht, sondern verwendet. Es sei der einzige Recyclingrohstoff, der immer und nahezu ohne Verlust wiederkommt. „Dieses Bewusstsein muss sich in der Öffentlichkeit entwickeln“, appellierte der BDSV Präsident auf der Online-Pressekonferenz mit Vertretern der Fachmedien. „Ohne Recycling ist unser Klima verloren.“

Aufgrund der aktuellen Corona-Lage musste die als Präsenzveranstaltung geplante Jahrestagung der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV) am 24. und 25. November 2021 kurzfristig komplett auf digital umgestellt werden. Im Mittelpunkt standen die Fraunhofer IMW-Studie „Schrottbonus Konkret“, der europäische Emissionshandel, die konjunkturellen Rahmenbedingungen der Stahlrecyclingbranche und die Handelshemmnisse durch die Revision der EU-Abfallverbringungsverordnung. Im Rahmen der ordentlichen Mitgliederversammlung wurden die BDSV-Vorstandsmitglieder Andreas Schwenter (Präsident), Stephan Karle (Stv. Präsident) und Stefanie Gottschick-Rieger (Schatzmeisterin) für die nächsten drei Jahre in ihren Ämtern bestätigt. Im öffentlichen Teil der Jahrestagung referierten Generalsekretär Emmanuel Katrakis und Umweltreferentin Julia Blees vom europäischen Dachverband EuRIC zum Thema „Der Europäische Deal und die Zukunft des Stahlrecyclings“ und blickten dabei auch auf den Entwurf der Novellierung der EU-Abfallverbringungsrichtlinie.

Lieferkettenprobleme spitzten sich zu
Die jährliche BDSV-Branchenumfrage zur Geschäftslage der Stahlrecyclingunternehmen zeigt: Nach dem gravierenden, pandemiebedingten Einbruch der Konjunktur im Frühjahr 2020 sorgten im dritten und vierten Quartal 2020 vor allem die Dynamik in der Industrieproduktion und im Baugewerbe für eine rasche Erholung der Wirtschaftsleistung, während die Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich durch das Wiederaufflammen des Pandemiegeschehens weiter zurückgegangen ist. Insbesondere das exportorientierte Verarbeitende Gewerbe profitierte von der fortschreitenden Erholung der Weltkonjunktur.

Die Jahrestagung war als Präsenzveranstaltung im darmstadtium – Wissenschafts- und Kongresszentrum in Darmstadt geplant und musste dort kurzfristig komplett auf digital umgestellt werden (Fotos: BDSV)

In der ersten Hälfte des Jahres 2021 setzte sich die Erholung in der Industrie fort. Diese Zweiteilung der Konjunktur hat sich inzwischen umgekehrt. Weltweite Engpässe bei Vorleistungsgütern lassen die heimische Industrie trotz starker Nachfrage aus dem In- und Ausland nicht richtig in Gang kommen. Die Probleme zeigen sich besonders stark bei Herstellern von Autos und Autoteilen, die vielfach zum Neuschrott-Aufkommen beitragen. Die sich weiter zuspitzenden Lieferkettenprobleme der Industrie und die daraus resultierenden Produktionskürzungen zum Beispiel in der Automobilindustrie haben sich bisher jedoch nicht in den Auftragsbüchern der Stahlindustrie niedergeschlagen.

Hoher Schrottbedarf traf auf knappes Angebot
Die Rohstahlproduktion in Deutschland ist weiterhin aufwärtsgerichtet. Im Oktober 2021 nahm die Stahlerzeugung im Vergleich zum Vorjahresmonat um sieben Prozent auf rund 3,7 Millionen Tonnen zu. Im bisherigen Jahresverlauf (Januar bis November 2021) ist die Produktion um 15 Prozent auf 33,6 Millionen Tonnen gestiegen und führte zu einem entsprechend höheren Schrottbedarf. Zusätzlich setzten die Stahlwerke aufgrund der steigenden Kosten für CO2-Zertifikate und zur Kompensation der ebenfalls stark gestiegenen Eisenerzpreise mehr Schrott ein. Der hohe Bedarf traf auf ein insbesondere im Neuschrottbereich sehr knappes Angebot. Denn anhaltende Lieferengpässe bei Vorprodukten und Stahl führten teilweise zu Produktionsstopps in der Industrie und damit zu einem verringerten Neuschrottaufkommen. In der Folge ging die Schere zwischen Neuschrott- und Altschrottpreisen weiter auseinander.

Doch während Lieferengpässe den Aufschwung der deutschen Wirtschaft eher vorübergehend dämpfen sollten, drohen die anziehenden Energiepreise und Rohstoffpreise zum Wachstumsrisiko zu werden. Die führenden Wirtschaftsinstitute haben ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr 2021 auf 2,4 Prozent abgesenkt; im Frühjahr waren sie noch von 3,1 Prozent ausgegangen. Die Erwartungen für das Jahr 2022 sind laut BDSV-Branchenumfrage auch verhaltener als im letzten Jahr. 40 der befragten Unternehmen gehen von einer Verschlechterung der Geschäftslage aus, während 14 Prozent eine Verbesserung erwarten. Zu den drängendsten Problemen zählen die hohen Energiekosten und der Mangel an Fachkräften und Lkw-Fahrern.

Auch Handelshemmnisse machen Sorgen
In ihrem am 17. November 2021 veröffentlichten Vorschlag zur Revision der Abfallverbringungsverordnung unterscheidet die EU-Kommission nicht zwischen gemischten oder gefährlichen Abfällen und Rohstoffen aus dem Recycling. Die BDSV kritisiert, dass für den „klimafreundlichen Rohstoff Stahlschrott“ hohe Auflagen bei der Ausfuhr in Drittländer eingehalten werden müssen, „wodurch Wettbewerbsnachteile vorwiegend gegenüber Primärrohstoffen entstehen, die mit einem hohen CO2-Fußabdruck importiert werden“. Sollte der Kommissionsvorschlag durchgehen, werden Handelshemmnisse erwartet, die der Branche große Sorgen machen.

Gravierende Wettbewerbsnachteile seien auch gegenüber Mitwettbewerbern aus Ländern, in denen Sekundärmetalle nicht dem Abfallregime unterliegen, zu erwarten – wie zum Beispiel den USA, dem zweitgrößten Exporteur weltweit nach der EU. Derzeit werden jährlich über 20 Millionen Tonnen Stahlschrott aus der Europäischen Union in Drittländer verkauft. Um diese Mengen in Europa einsetzen zu können, müssten Kapazitäten erweitert und Herstellungsprozesse verändert werden.

„Schrottbonus“ in den Emissionshandel übernehmen
Wie dies neben der Konzentration auf den Ausbau der Wasserstofftechnologie funktionieren könnte, untersucht die neue Studie „Schrottbonus konkret“ des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie IMW im Auftrag der BDSV. Projektleiter Prof. Dr. Frank Pothen (Fraunhofer IMW) erläuterte die Ergebnisse. So empfiehlt die Studie die vollständige Übernahme des Stahl-Schrottbonus in den europäischen Emissionshandel.

Das Konzept des „Schrottbonus“ wurde im Jahr 2019 in einer Studie entwickelt und stellt die gesellschaftlichen Vorteile durch CO2-Einsparung beim Einsatz des Rohstoffs Schrott im Vergleich zur Herstellung von Stahl aus Erzen in Euro dar. Mit der auf der BDSV-Jahrestagung 2021 präsentierten Forschungsarbeit „Schrottbonus Konkret“ wurde dieses Konzept weiterentwickelt und operationalisiert.

Mittels des Schrottbonus lassen sich die substanziellen Beiträge des Rohstoffs Schrott zum Klimaschutz in der Stahlproduktion aufzeigen. Plädiert wird, den Schrottbonus in den europäischen Preismechanismus zu integrieren, „um als Instrument für fairen Wettbewerb in den globalen Wertschöpfungsketten der Stahlherstellung zu wirken“. Jede vermiedene Tonne CO2 helfe, das 2-Grad-Ziel mit gesenkten Kosten zu erreichen. Mit den Umweltschutzwirkungen des Schrotteinsatzes seien ökonomische Vorteile verbunden. Die gesellschaftlichen Vorteile, die mit jeder Tonne Stahlschrott verbunden sind, werden als „Schrottbonus“ bezeichnet. Dieser liege zwischen 80 und 213 Euro pro Tonne Kohlenstoff-Stahlschrott. Für Edelstahlschrott belaufe er sich auf 158 bis 502 Euro.

Lücken im EU-ETS schließen
Die aktuelle Studie untersucht, inwieweit die europäische Klimapolitik den Schrottbonus in den Preismechanismus integriert. Sie identifiziert Lücken, die einem fairen Wettbewerb entgegenstehen, und schlägt Maßnahmen vor, um diese Lücken zu schließen und Anreize für eine effiziente und klimafreundliche Stahlherstellung zu schaffen.

„Für einen fairen Wettbewerb zwischen den Rohstoffen der Stahlherstellung müssen Marktpreise die gesellschaftlichen Vor- und Nachteile der Rohstoffe widerspiegeln. Daher sollte der Schrottbonus im Preissystem internalisiert werden“, appellierte Frank Pothen. Jede eingesetzte Tonne Kohlenstoffstahlschrott spare – im Vergleich zur Stahlerzeugung aus Erzen und Koks – 1,67 Tonnen CO2 ein. Das Recycling einer Tonne Edelstahlschrott vermeide 4,3 Tonnen CO2. Im Jahr 2018 wurden in Europa etwa 94 Millionen Tonnen Schrott eingeschmolzen. Dadurch seien 157 Millionen Tonnen CO2 eingespart worden, was den jährlichen Emissionen des gesamten privaten und gewerblichen Kraftfahrzeugverkehrs aller Automobile in Frankreich, England und Großbritannien entspräche.

Nach den weiteren Erläuterungen von Frank Pothen trägt das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) als zentrales Instrument europäischer Klimapolitik dazu bei, den Schrottbonus in den Preisen von Rohstoffen und Stahl zu internalisieren. Im EU-ETS bestünden jedoch Lücken, die einer vollständigen Internalisierung des Schrottbonus im Weg stehen und die auch durch die aktuellen Reformvorschläge der Europäischen Kommission nicht geschlossen würden. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen Europas gegenüber 1990 um 55 Prozent sinken.

CBAM belohnt Schrotteinsatz außerhalb Europas
Um dieses Ziel zu erreichen, hat die EU-Kommission im Juli 2021 das Maßnahmenpaket „Fit-for-55“ vorgeschlagen, das eine Revision des Emissionshandels enthält. Zur Vermeidung von Carbon Leakage (Abwanderung emissionsintensiver Wirtschaftszweige aufgrund weltweit unterschiedlicher CO2-Preise) schlägt die Kommission einen „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) genannten CO2-Grenzausgleichsmechanismus vor, der die Bepreisung von Treib­hausgasemissionen auf ausgewählte importierte Produkte ausdehnt und die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten mittelfristig ersetzen soll.

Der CBAM würde nach Auffassung der BDSV die direkten Emissionen der Herstellung von importiertem Stahl mit einem Preis versehen und den Einsatz von Schrott in der Stahlherstellung außerhalb Europas belohnen. Die Reformen des Fit-for-55-Pakets werden voraussichtlich überwiegend zur Mitte der Dekade umgesetzt. Die Einführung des CBAM ist für 2026 geplant. Rohstoffe wie Erze, Kohle und Zwischenprodukte der Stahlherstellung wären aber weiterhin von EU-ETS und CBAM ausgenommen. Dadurch würden Primärrohstoffe gegenüber dem Recyclingrohstoff Schrott bevorzugt. Aus diesem Grund sollten Rohstoffe und Zwischenprodukte der Stahlherstellung sowohl vom EU-ETS als auch vom CBAM erfasst werden, fordert die BDSV.

Übergangslösung mit kostenloser Zuteilung von Emissionsrechten
Mit einer Übergangslösung könnten der BDSV zufolge die positiven ökologischen Wirkungen des Schrotteinsatzes schon jetzt und nicht erst nach einer Überarbeitung des CBAM internalisiert und zusätzliche Anreize zur Schließung von Wertstoffkreisläufen gesetzt werden. Dazu könnte die kostenlose Zuteilung von Emissionsrechten an den Schrotteinsatz gekoppelt werden. Es entstünde ein geldwerter Vorteil des Schrotteinsatzes, dessen Höhe an den CO2-Preis gebunden sei.

Die Verknüpfung von kostenloser Zuteilung von Emissionsrechten und Schrotteinsatz wäre ein Übergangsinstrument, bis der CO2-Grenzausgleichmechanismus seine Wirkung vollständig entfaltet. Alternativ könnte der Schrotteinsatz über eine verpflichtende Schrotteinsatzquote angeregt werden. Im Vergleich zu einem positiven Anreiz für den Schrotteinsatz wäre diese mit einem stärkeren Markteingriff verbunden, könnte den europäischen Stahlsektor belasten und eröffnet die Frage, ob eine verpflichtende Schrotteinsatzquote auch auf importierten Stahl anwendbar wäre.

Zusammenfassend sprechen sich BDSV und Fraunhofer IMW dafür aus, den Bergbau in das europäische Emissionshandelssystem mit zu integrieren. Prof. Dr. Frank Pothen: „Die CO2-Bepreisung sollte schon am Anfang der Wertschöpfungskette erfolgen. Für eine Region wie Europa, die stark abhängig ist von Importen von Metallen aller Art, ist es wichtig, dass die Bepreisung von Emissionen nicht nur innerhalb Europas stattfindet; sie sollte auch für importierte Rohstoffe gelten. Die geplanten Ausnahmen für Ferro-Legierungen sollten gestrichen und die Zuteilung kostenloser Emissionsrechte an den Schrotteinsatz gekoppelt werden. Die Idee ist hier, dass die Emissions-Einsparungen weiter angereizt werden, indem innerhalb des EUTS kostenlose Emissionsrechte zugeteilt werden – gekoppelt an Schrotteinsatzzielen.“ Und BDSV Präsident Andreas Schwenter fügte hinzu: Wir brauchen die Stärkung der Schrottpreise, um eine höhere Wertschöpfung leisten und hochwertige Schrotte produzieren zu können.“

Unnötige Einschränkungen
Der BDSV lehnt die von der EU-Kommission vorgeschlagenen weitreichenden Beschränkungen des internationalen Handels mit Schrotten ab (siehe Artikel „Eine neue Verordnung zur Abfallverbringung: Die EU ist gefordert“, Seite 10). Laut BDSV Präsident Andreas Schwenter würde dies zu niedrigeren Schrottpreisen innerhalb Europas führen. Ein wirtschaftliches Recycling wäre dann nicht mehr möglich.

„Wir sehen, dass das weltweite Schrottaufkommen deutlich steigt. 2030 werden wir die Eine-Milliarden-Tonnengrenze durchbrechen. Exporteinschränkungen sind deshalb vollkommen unnötig. Die Beschränkungen des grenzübergreifenden Schrotthandels führen zu steigenden CO2-Emissionen und untergraben Klimaschutzbemühungen. Klimaschutz macht nicht an den Grenzen halt“, verdeutlichte Schwenter. Recycling sei aktiver Umweltschutz, „aber leider nehmen wir vermehrt zur Kenntnis, dass die zuständigen Behörden die Recyclingbetriebe mit immer neuen Auflagen, die weit über das EU-Recht hinausgehen, in erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten bringen.“

Bildungsangebot ausgebaut
Die BDSV kündigte des Weiteren an, die Anwendung der TA Luft (Neufassung) und der Verwaltungsvorschrift Abfallbehandlungsanlagen durch die Genehmigungsbehörden kritisch begleiten und im Falle überzogener Anforderungen entsprechend Stellung nehmen zu wollen.

Thema der Jahrestagung war auch der Personal- und Fachkräftemangel. Seit Januar 2021 steht das ISM (Institut für Schrotte und Metalle) für Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen im Stahlrecycling. Die Tochter der BDSV bietet praxisnahe innovative Schulungen mit unterschiedlichen didaktischen Konzepten an und baut damit auf die jahrelange Bildungsarbeit des Verbandes auf. Das Seminarangebot wurde 2021 um 40 Prozent gesteigert und um eine Vielzahl neuer Themen ergänzt. Auch im neuen Jahr 2021 wird das Programm weiter ausgebaut; neue Konzepte und Lernwege entwickelt. Besonderes Augenmerk gilt dabei der mittleren Qualifikationsebene. So werden Menschen mit unterschiedlichstem Bildungshintergrund auf hohem Niveau gezielt weitergebildet. Neben dem Tagesgeschäft waren Digitalisierung und Professionalisierung der Arbeitsprozesse vorrangiges Thema.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2022, Seite 20, Foto: BDSV)

 

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