Die Rolle der Bioöko­nomie in der Kreislaufwirtschaft

Der Ersatz fossiler Rohstoffe in industriellen Anwendungen wird die Nach­frage nach biogenen Reststoffen steigern. Davon gehen die Teilnehmer eines DGAW-Symposiums aus. Sie erörterten auch, inwiefern biologisch abbaubare oder auf biogenen Rohstoffen basierende Kunststoffe bei der Abfallbehandlung eine Rolle spielen.

Klimaneutralität bis 2050 braucht eine nachhaltige Bioökonomie und lässt sich nur durch konsequente Energieeinsparung, vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien sowie durch CO2-Entzug aus der Atmosphäre erreichen. Die Koppel- und Kaskadennutzung biogener Ressourcen ist zentrales Element einer klimaneutralen Bioökonomie. Kohlenstoff und Nährstoffkreisläufe sind zu schließen und stoffliche Produkte und Bioenergie aus nachhaltigen Rohstoffen und Reststoffströmen bereitzustellen, wobei der Einsatz im Zusammenspiel mit den anderen erneuerbaren Energiequellen dort erfolgen sollte, wo der größte Systemnutzen in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft erreicht wird (Smart Bioenergy-Ansatz).

Die DGAW hat hierzu bereits 2021 mit dem Positionspapier „Biogene Reststoffe – ein wesentlicher Stoffstrom für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie“ Rahmenbedingungen und Ansätze beschrieben. Im Zuge eines gemeinsamen Symposiums von ANS und DGAW im Herbst 2021 wurde entschieden, den Themenkomplex Anfang 2022 in einem DGAW-Status-Seminar Bioökonomie in der Kreislaufwirtschaft erneut aufzugreifen, um zu ermitteln, ob Interesse an der Entwicklung eines eigenen Arbeitskreises Bioökonomie innerhalb der DGAW besteht und wie dieser ausgestaltet werden könnte. Dabei würden grundsätzliche verschiedene Themen eine Rolle spielen: von nutzbaren Inhaltsstoffen verschiedener Abfallarten über technische Aspekte zur Erzeugung von Energie, Kraftstoffen, Plattformchemikalien und Grundstoffen für die chemische Industrie bis hin zur Bilanzierung und Bewertung kommunaler und industrieller Ansätze.

„Defossilisierung“ statt „Decarbonisierung“
In der am 9. Februar 2022 durchgeführten Veranstaltung waren über 60 Interessenten digital zugeschaltet. Einen Überblick über das Thema lieferten zunächst drei Impulsvorträge, die im Anschluss intensiv diskutiert wurden. Dr. Alexander Gosten stellte in seiner Einführungsrede „Die Rolle der Bioökonomie“ für die DGAW die strategische Bedeutung zur Erreichung der Klimaziele heraus und plädierte dafür, dem Themenfeld auch in der Facharbeit der DGAW zukünftig ausreichend Gewicht beizumessen.

Professor Achim Loewen lenkte in seinem Vortrag „Die strategische Bedeutung der Bioökonomie für Wirtschaft und Gesellschaft“ den Blick auf den Nutzen einer nachhaltigen Bioökonomie für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt und wies auch auf das erhebliche Arbeitsplatzpotenzial. hin. Auf EU-Ebene sind bereits jetzt acht Prozent aller Arbeitsplätze der Bioökonomie zuzuordnen; durch neue Beschäftigungsfelder wird bis 2030 eine Million weiterer entstehen. Dem enormen Beitrag für Klima- und Umweltschutz wird bereits heute durch verschiedene Bioökonomiestrategien auf EU- und Länderebene Rechnung getragen. Auch Deutschland ist im Rahmen der „Nationalen Bioökonomiestrategie“ aktiv und sieht die Nutzung biogener Nebenprodukte und Reststoffe als einen wesentlichen Bestandteil.

Loewen merkte an, dass die heute häufig gebräuchliche Forderung einer „Decarbonisierung“ in diesem Zusammenhang falsch ist, da vielmehr die für die Bioökonomie relevanten und somit vermehrt genutzten Rohstoffe und Produkte kohlenstoffbasiert sind und korrekterweise der Begriff „Defossilisierung“ Anwendung finden sollte.

Drei Jahrhundertaufgaben
Im Anschluss nahm Professor Michael Nelles mit seinem Vortrag „Die Rolle der stofflichen und energetischen Verwertung biogener Abfälle und Reststoffe in der Bioökonomie“ in den Fokus. Auf Basis der Erfassung der Mengen verschiedener in Deutschland anfallender Stoffströme konnte er zeigen, dass die Abfall- und Reststoffverwertung für die biobasierte Kreislaufwirtschaft eine zentrale Rolle spielt. Das Hauptpotenzial an biogenen Reststoffen, Nebenprodukten und Abfällen liegt bei den landwirtschaftlichen Nebenprodukten sowie holz- und forstwirtschaftlichen Reststoffen, gefolgt von Siedlungsabfällen und Klärschlamm.

Als Fazit der Einführung stehen drei Jahrhundertaufgaben bevor, für die weniger als 30 Jahre Zeit bleiben:

  • Nationale und globale Klimaneutralität bis spätestens 2050
  • Nachhaltige Energieversorgung, das heißt vollständig auf Basis erneuerbarer Energien
  • Aufbau der Bioökonomie, das heißt Erzeugung und Nutzung biologischer Ressourcen für Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in allen wirtschaftlichen Bereichen im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems.

In allen drei Bereichen kann und muss die stoffliche und energetische Nutzung von biogenen Abfällen und Reststoffen einen nachhaltigen Beitrag leisten:

  • Koppelproduktion und Kaskadennutzung der Biomasse
  • Rohstoff- und Energieeffizienz über vernetzte Wertschöpfungsketten
  • Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien

In der folgenden Diskussion wurde zunächst erörtert, inwiefern biologisch abbaubare oder auf biogenen Rohstoffen basierende Kunststoffe bei der Abfallbehandlung eine Rolle spielen. Dieses Thema ist allgemein als wichtig eingestuft, wird allerdings bereits in anderen Arbeitskreisen behandelt.

Weiterführender Informationsbedarf
Um bei der Vielzahl der Möglichkeiten ökonomisch und ökologisch sinnvolle Ansätze zu verfolgen, ist zu entscheiden, an welcher Stelle der Prozesskette welche Teilströme oder Inhaltsstoffe aus Reststoffen abzutrennen und einer weitergehenden Nutzung mit hohem Wertschöpfungspotenzial zuzuführen sind. Aus Sicht der Anlagenbetreiber besteht diesbezüglich weiterführender Informationsbedarf über zusätzlich zu berücksichtigende Reststoffarten (Qualität, Menge, Ort, gesetzliche Rahmenbedingungen), um die Steuerung von Stoffströmen zu optimieren. Ziele sind eine Optimierung der Bioabfallerfassung und -behandlung und eine Verbesserung der Kaskadennutzung mit dem Vorrang der stofflichen vor der thermischen Verwertung.

Der Ersatz fossiler Rohstoffe durch biogene Reststoffe in industriellen Anwendungen wird zu einem weiteren Anstieg der Nachfrage, zum Beispiel durch die chemische Industrie, und damit auch der im Rahmen einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu behandelnden und zu verwertenden Stoffströme führen. Somit treten diese Nutzungen auch vermehrt in Konkurrenz zu klassischen Behandlungsverfahren wie Kompostierung oder Vergärung; beispielsweise können ein vermehrter Humusaufbau in der Landwirtschaft und die Nutzung biogener Reststoffe für stoffliche Produkte konträre Ziele sein. Für die Entscheidung, welche Verfahren und Nutzungen für welche Stoffströme am besten geeignet sind, spielt die Ökobilanzierung und insbesondere die Betrachtung von Kohlenstoffbilanzen und Freisetzung beziehungsweise Verminderung von CO2-Emissionen der verschiedenen Alternativen eine wichtige Rolle.

Problematisch gesehen wurden von den Teilnehmern die unterschiedlichen Rechtsvorgaben für den Umgang mit Reststoffen aus den Bereichen Landwirtschaft und Kreislaufwirtschaft. So hat zum Beispiel der Abfallbegriff beziehungsweise das Ende der Abfalleigenschaft einen signifikanten Einfluss auf die Möglichkeiten der Umsetzung neuer Technologien; häufig steht die aktuelle Rechtsprechung ökologisch sinnvollen Ansätzen entgegen. Hier kann die DGAW durch Positionspapiere sowie eine neutrale und faktenbasierte Beratung die Rechtsprechung auf Bundes- und auf EU-Ebene begleiten und ökologisch und volkswirtschaftlich sinnvolle Maßnahmen vorschlagen.

Aufgabenfelder im Themenfeld Bioökonomie
Anknüpfend an das Motto „Wir öffnen Türen für die Zukunft“ sieht die DGAW ihre zukünftige Funktion schwerpunktmäßig als Informationsplattform für Mitglieder, die in ihrem betrieblichen Alltag über keine Informationen oder Anregungen zum Thema Bioökonomie verfügen, und in der Sensibilisierung für dieses Themenfeld. Anhand von Best Practice-Beispielen, so unter anderem Anlagenbesichtigungen mit begleitenden Fachveranstaltungen, sollen DAGW-Mitgliedern konkrete Handlungsoptionen an die Hand gegeben werden.

Ein Engagement im Bereich der Grundlagenforschung wird als kein Aufgabenbereich der DGAW gesehen; allerdings können öffentlich oder industriell geförderte Forschungsprojekte angestoßen und begleitet werden. Für die Antragstellung und Durchführung steht eine Vielzahl kompetenter und engagierter Vereinsmitglieder zur Verfügung. Darüber hinaus wird sich die DGAW im Themenkomplex Bioökonomie durch Positionspapiere in politische Umsetzungsprozesse einbringen.

Weiteres Vorgehen
Die Geschäftsstelle verschickte in Ergänzung zu den thematischen Rückmeldungen des Status-Seminares einen Fragebogen an alle DGAW-Mitglieder. Auf Basis der Rückmeldungen werden thematische Prioritäten ermittelt und abgestimmt, welche Themen den bereits bestehenden Arbeitskreisen Biologie, Klimaschutz und Grundsatzfragen zugeordnet werden können und ob ein Bedarf für einen neu zu bildenden Arbeitskreis Bioökonomie gesehen wird.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2022, Seite 22, Foto: TSUNG-LIN WU / stock.adobe.com)

 

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