32. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar: Die Mantelverordnung ist nicht das Problem

Das 32. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar trug die etwas sperrige Bezeichnung „Abschluss und Rekultivierung von Deponien und Altlasten – Planung und Bau neuer Deponien“. Was der Veranstalter ICP – die Ingenieursgesellschaft Prof. Czurda und Partner mbh – allerdings an Themen anbot, war vielfältig und hochinteressant.

So berichtete beispielsweise Jan Retzlaff (GEOscope GmbH, Weimar) über Untersuchungen an nach 30 Jahren aus Deponieabdichtungen ausgegrabenen Kunststoffdichtungsbahnen. Aus der Bestimmung von Dichte, Oxidationsbeständigkeit, Auslaug- und Zugeigenschaften, Schmelzpunkt, Kristallinität, Schmelz-Massefließrate sowie Oxidations-Induktions-Zeit ließen sich Aussagen zu Beständigkeit beziehungsweise Alterungsverhalten des Materials gewinnen: Die untersuchten Bahnen werden – günstiger als erwartet – ihre Abdichtfunktion noch in weiteren 100 Jahren erfüllen. Allerdings besitzen sie einen geringeren Sicherheitspuffer als heute von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) zugelassene Produkte. Zudem sind mittlerweile differenziertere Aussagen aufgrund von BAM-Modellen und -Anforderungen über die Funktionsdauer von Dichtungsplanen möglich.

Neue zuverlässige Deponierungstechniken?
Über die Recherche nach internationalen Systemlösungen für Deponiekonzepte, die über die reglementierten und somit limitierten deutschen Anwendungstechniken hinausgehen, referierte Christian Niehues (Naue GmbH und Co. KG, Espelkamp-Fiestel). So fand er unter anderem in Südafrika Hinweise zu alternativen Granulatfiltern, Bodenabdeckschichten oder Tonbestandteilen, in Österreich zugelassene Sonderkonstruktionen für Böschungen und alternative Basisabdichtungen und den Einbau von Schutzvliesstoff in Bali. In den Niederlanden, Frankreich und Österreich werden Dichtungssysteme enger auf ihre Langzeitanforderungen überprüft. Und im australischen Queensland erfolgt eine Risikoanalyse hinsichtlich Schadstofffreisetzungen von Dichtungskomponenten. Jedoch kommt Niehues zu der Erkenntnis, dass keine der vorgestellten internationalen Regelungen die Langzeitbeständigkeit polymerer Komponenten so überprüft oder nachweist, wie es in Deutschland erforderlich wäre.

Die drei Säulen zur Asbestfreiheit
Falk Fabian vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg in Stuttgart machte deutlich, dass in die Verwertungsanlagen nur Bauschutt gelangen darf, der frei von offensichtlichen Asbest-Einlagerungen und nachweislich mit weniger als 0.010 Masse-Prozent belastet ist. Dazu dienen drei Säulen:

Die erste Säule besteht in der „Erkundung vor dem Abbruch“, um schon vor dem Entstehen von definitivem Abfall durch selektiven Rückbau – auch im Hinblick auf das Arbeitsrecht – Schadstoffe zu erkunden. Das gilt insbesondere für Bauten vor dem 31. Oktober 1993, dem Datum, seit dem in Deutschland Herstellung, Inverkehrbringen und Verwendung von Asbest und asbesthaltigen Produkten verboten ist.

Die zweite Säule dient der „Abfalleinstufung“ beziehungsweise dem Nachweis der Asbestfreiheit. Gefährlicher Abfall definiert sich bei einem Asbestgehalt größer gleich 0,1 Masse-Prozent; Bau- und Abbruchabfälle unterhalb dieser Grenze können als „nicht gefährlich“ gelten und sind mit dem Zusatz „enthält geringfügig Asbestbstandteile“ zu kennzeichnen. Um die Asbestfreiheit festzulegen, müssen aber weitere Faktoren wie natürliche Hintergrundbelastung, die Sicherheit der Untersuchungen und natürliches Vorkommen im Gestein berücksichtigt werden. Bestehen Zweifel, ist der Regelentsorgungsweg einer Beseitigung auf der Deponie vorgeschrieben.

Als dritte Säule gilt der „Inputbasierte Ansatz der Recyclinganlage“, bei der die Asbestfreiheit bei der Anlieferung durch eine Erklärung des Abfallerzeugers als Eingangstestat dokumentiert oder nach möglicher Kontrolle, bei unzureichender Dokumentation oder in Zweifelsfällen zurückgewiesen wird. Als Resultat verlässt ein Output die Anlage, das als „asbestfreies Baustoffrecyclingmaterial“ ohne Freimessen zum Verkauf steht.

Ausnahmeregelungen einführen
Andere Vorträge befassten sich mit Einzelthemen wie den Prüf- und Hinweispflichten für Verlegefachbetriebe, der Einführung von bundeseinheitlichen Qualitätsstandards für Deponiegas, Erkenntnissen aus der Flutkatastrophe im Ahrtal für die Abfallwirtschaft oder auch dem Umgang mit PFC-verunreinigten Böden.

Ein grundlegendes Thema kam in den Vorträgen mehrfach vor: Die Auswirkungen der Mantelverordnung beziehungsweise der hochdiskutierten Ersatzbaustoffverordnung (EBV), die ab dem 1. August 2023 in Kraft treten soll. So wies Dr. Georg Surkau vom Bundesumweltministerium in seinem Vortrag darauf hin, dass in § 6 der Deponieverordnung in Absatz 1a eine Ausnahmeregelung für die Ablagerung von als Abfall anfallende mineralische, güteüberwachte und klassifizierte Ersatzbaustoffe oder nicht aufbereitetem, untersuchtem und klassifiziertem Bodenaushub einzufügen ist. Und dass in § 8 in Absatz 8 a eine ebensolche Ausnahmeregelung für dieselben Materialien bei Abfallannahme einzufügen ist.

Entsorgungssicherheit stellenweise vermisst
Änderungen sah auch Hartmut Haeming, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Deutsche Deponiebetreiber e.V., kurz InwesD, in seiner Darstellung der Marktsituation und -mechanismen bei deutschen Deponien voraus. Derzeit bezeichnet er in Niedersachsen und Baden-Württemberg die Entsorgungssicherheit als gegeben an, hält den Bedarf in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen für überschaubar, sieht im Saarland und in Brandenburg schon jetzt zumindest regionalen Deponiebedarf, vermisst aber bereits heute die Entsorgungssicherheit in Hessen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Unter dem Strich wurden 2020 insgesamt 54,74 Millionen Tonnen an Abfällen abgelagert; das entspricht – ohne Beeinflussung durch die Mantelverordnung – einem jährlichen Verbrauch an Deponieraum von rund 34 Millionen Kubikmetern.

13 oder 70 Millionen Tonnen zusätzlich?
Die Schätzungen zum Volumenverzehr nach Einführung der Mantelverordnung gehen weit auseinander: Das Bundesumweltministerium vermutete zunächst zusätzlich 13 Millionen (Mio.) Tonnen, dann 19 Mio. Tonnen, in der Begründung zur Mantelverordnung jedoch null Tonnen. Der BDE hält eine Zunahme von 50 Mio. Tonnen für realistisch, während der Zentralverband Deutsches Baugewerbe gar von einem Plus von 70 Mio. Tonnen spricht.

Foto: Landratsamt Kitzingen / studio zudem

Nimmt man aufgrund geänderter politischer Auflagen eine zusätzliche Jahresmenge auf 13 Mio. Tonnen an, ergibt sich die Summe von rund 67,74 Mio. Tonnen und ein Deponievolumen von rund 42 Mio. Kubikmetern (m3). Als Restvolumen stehen dafür laut destatis 443,9 Mio. m3 (2020), laut Meldung der Bundesländer 380,7 m3 (2022) und laut deren Meldung einschließlich Planungen 680,6 Mio. m3 zur Verfügung. Umgelegt auf die Bundesländer, wären bei einem Start der Mantelverordnung im Januar 2022 bis 2026 sämtliche Deponien der norddeutschen Bundesländer verfüllt, bis 2028 kämen die Lagerstätten in Hessen, Thüringen und Bayern dazu, und 2038 wäre sämtliches freie Deponievolumen in Deutschland aufgebraucht. Die Restlaufzeit ohne beziehungsweise mit Mantelverordnung würde sich (Basis: destatis 2020) von 12.98 auf 10,48 Jahre, (Basis: Bundesländer 2022) von 11,13 auf 8,99 Jahre beziehungsweise (Basis: Meldung inkl. Planungen) von 19,89 auf 16,07 Jahre verringern.

Dringendst Deponieraum schaffen
Diese Unsicherheiten in der Kalkulation könnten durch eine Reihe weiterer Faktoren verstärkt werden, beispielsweise einen Konjunktureinbruch im Bausektor, eine Verschleppung der geplanten Deponie-Erweiterungen, mögliche verschärfte Vorschriften für die Verwertung von Abfällen, die Realisierung der „Seehofer-Klausel“ in der Bundesbodenschutz-Verordnung oder zusätzliche Lieferkettenstörungen. In jedem Fall bestehen nach Ansicht des InwesD-Vorsitzenden weiterhin Marktrisiken mit der Folge steigender Kosten, Verknappung von Deponieraum und anziehender Deponierungspreise, zumal für Ersatzbaustoffe wie MVA-Schlacken kein ausreichender Markt besteht und die Akzeptanz der öffentlichen Hand zu wünschen übrig lässt.

Andererseits – so Haeming – sind die infolge der Mantelverordnung zu erwartenden 15 Euro mehr pro deponierter Tonne und einem Preis angesichts sinkender Lagerkapazitäten von 40 bis 50 Euro pro Tonne nicht realisierbar. So sei es schon jetzt – Mantelverordnung hin oder her – erforderlich, „dringendst und ganz zeitnah neuen Deponieraum zu schaffen“. Dies sei umso notwendiger, solange in Deutschland die Dauer der Genehmigungsverfahren nahezu unkalkulierbar ist. Deponien für nicht weiter verwertbare mineralische Abfälle seien „unverzichtbares Element einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft“.

Eine Frage des Vollzugs
Mit den Auswirkungen der Mantelverordnung auf zu deponierende Stoffströme befasste sich Jan B. Deubig von der Zentralen Abfallwirtschaft Kaiserslautern (ZAK) und ebenfalls im Vorstand der InwesD. Er hält Deponierung sogar für den nach wie vor „wichtigsten Entsorgungsweg“. Allerdings schätzt er die direkte Wirksamkeit der Mantelverordnung für geringer als Hartmut Haeming ein, denn auch diese sei – vergleichbar den Auswirkungen der Gewerbeabfallverordnung – in großen Teilen eine Frage des Vollzugs und der Frage, ob und inwiefern Behörden willens und in der Lage seien, die Regelungen der Verordnung auch umzusetzen.

Das entscheidende Problem sei der schon heute fehlende Deponieraum. Bereits jetzt biete der Preis allein keinen Anreiz mehr, dem Recycling von mineralischen Abfällen über Deponierung auszuweichen. Neben der Mantelverordnung – so Jan B. Deubig – würden andere aktuelle Entwicklungen erheblich an Einfluss gewinnen. Beispielsweise werde die drohende Rezession für Produktionsrückgänge vor allem in der Stahl-verarbeitenden Industrie und rückläufige Baumaßnahmen im Bausektor dafür sorgen, sodass weniger Reststoffe auf der Deponie enden. Im Rahmen von Transformationsprozessen würden beispielsweise Schlacken, Asche und Stäube aus Kohlekraftwerken plötzlich wieder neue Bedeutung erhalten; Änderungen treten vermutlich kurzfristiger und in schnelleren Frequenzen auf.

Annahmen in kürzester Zeit verändert
Zweifel seien ohnehin angebracht hinsichtlich den Abschätzungen und Annahmen zukünftiger Rahmenbedingungen. So prognostizierte 2015 eine Studie des IFEU im Auftrag des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Umwelt, dass die Entsorgungssicherheit für DKI-/DKII-Mengen im Land nicht gewährleistet sei. Im Entwurf des Abfallwirtschaftsplans für Rheinland-Pfalz von 2022 wird hingegen von einer Restlaufzeit von 17 Jahren ausgegangen. Ähnlich die Kalkulationen der Mantelverordnung: Im Referentenentwurf von 2017 werden „größere Stoffstromverschiebungen in Richtung Deponie“ angenommen, während in der Verordnungsbegründung von 2021 ausdrücklich von keinerlei Verschiebungen mehr die Rede ist. Deubig: „So würden – zum Teil aus den gleichen Häusern – Veränderungen der Annahmen in kürzester Zeit zu anderen Ergebnissen führen.“ Doch ungeachtet von möglichen Mengen-Zu- oder Abnahmen durch Verlagerungen bestehe beim heutigen Status quo ein Bedarf an Deponieraum, der die öffentliche Hand vor die Aufgabe stellt, die Entsorgungssicherheit für Deponien zu unterstützen und die Transportentfernungen nicht zu groß werden zu lassen.

Lücken und Umsetzungsschwierigkeiten
Neben anderen Kritikpunkten wie der rechtlichen Unverbindlichkeit von LAGA M20 und Boden 2004 und den bundesweit möglichen Auswirkungen der Länderöffnungsklausel, der sogenannten Seehoferklausel, lässt die Verordnung bislang Vorgaben zu Abfallende beziehungsweise Produktstatus mineralischer Bauabfälle und zu Haftungsrisiken am Ende des Verwertungsvorgangs vermissen. Es fehlen Angaben zu Böden aus Katastrophenfällen, zu geogen belastetem Aushub, zu Überschussmassen an bodenmechanisch ungeeigneten Böden und zu Deponie-Lösungen für spezielle Böden. Vor allem aber fiel dem Kaiserlauterer Abfallexperten die schwierige Umsetzbarkeit eines Rechtsregimes durch die Mantelverordnung auf, das dem gegenwärtigen Stand der technischen Erkenntnisse entspricht und alle Verwertungswege berücksichtigt. Für mineralische Ersatzbaustoffe werden daher vorgegebene Materialwerte auch hinsichtlich Schadstoffbelastung erwartet, die den Einbauweisen des Bauwerks angepasst sind. Mit anderen Worten müssen Materialklasse und Einbauklasse übereinstimmen: Ein Puzzle mit technischen und rechtlichen Risiken, das insbesondere im Straßenbau zum Problem werden kann, wenn das Recyclingmaterial mit der möglicherweise jeden Meter wieder wechselnden Einbauklasse übereinstimmen sollte.

Erheblicher Kostenaufwand für Recycler
Die bisherige Nachfrage nach recyceltem Bauabfall-Material muss als verhalten bezeichnet werden. Die mangelnde Akzeptanz mag an mehr oder weniger hinreichenden Qualitätsstandards für Rückbau, Trennung und Aufbereitung der Baustoffe liegen. Hier sieht die Mantelverordnung deutlich höhere Standards für Recyclingmaterial vor, die einen Mehraufwand zur Erfüllung verlangen. Auch hier sieht Deubig Schwierigkeiten bei der Umsetzung: „Die Recycler müssen sich einem ganz neuen Eigen- und Fremdüberwachungsregime stellen.“ Der bürokratische und finanzielle Aufwand werde deutlich größer sein. „Ich habe Zweifel, ob das Akzeptanz in dieser Branche finden wird.“ Da auch die Bauwirtschaft die Vorgaben für zu kompliziert und zu teuer hält, werden vermutlich mehr Abfälle in die Beseitigung und auf die Deponie gehen.

Nachhaltigkeit statt Tamtam
Das 32. Deponie- und Altlastenseminar zeigte neben vielen hochinformativen Berichten durchaus eindrucksvoll, „welchen hohen Standard wir im Deponiebau in Deutschland erreicht haben“, wie Heike Frank, die 2. Vorsitzende von Arbeitskreis Grundwasserschutz, in ihrer Begrüßungsrede hervorhob. Die Tagung machte aber auch deutlich, dass mit Blick nach vorne neue Wege und innovative Konzepte im Deponie- und Altlastenbereich erarbeitet werden müssen. Ob die Mantelverordnung in der Lage sein kann, mit positiven Lösungen beizutragen, muss man infrage stellen. In jedem Fall bleibt die Ablagerung von Abfällen ein Problem, das nicht durch möglichst nachhaltige Produkte allein aus der Welt zu schaffen ist. Denn – so Heike Frank – „von der einmal mit großem Tamtam dargestellten deponiefreien Gesellschaft haben wir uns längst verabschiedet. Wir brauchen auch sichere Deponien für eine nachhaltige Zukunft.“

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 12/2022, Seite 6, Foto: Landratsamt Kitzingen / studio zudem)

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