bvse-Branchenforum 2023: Der „Green Deal“, verstärkter Schrotteinsatz und die Rolle des Schrotthandels
Diese Themenkreise beschäftigten die Teilnehmer am 17. Forum Schrott im Rahmen des Branchenforums, das der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung im April 2023 in Hamburg veranstaltete.
Im Rahmen der bvse-Branchenveranstaltung mit insgesamt mehr als 150 Anwesenden ging es im Forum Schrott unter dem Motto „Green Deal – und jetzt?“ um den von der Europäischen Union eingeschlagenen Weg mit dem Ziel, bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Laut Sebastian Will, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied im bvse, versuchen die deutschen Hüttenwerke, ihre Produktion klimafreundlicher zu gestalten, was eine erhöhte Schrottnachfrage zur Folge haben werde. Denn CO2-Einsparungen seien durch nichts schneller und günstiger zu realisieren als über den Schrotteinsatz. „Wir fragen uns als Schrotthandel, welche Rolle wir in Zukunft in dieser Kreislaufwirtschaft, die noch stärker als bisher auf den Einsatz von Schrott setzt, noch spielen werden“, sagte er vor dem Hintergrund, dass Stahlproduzenten vermehrt Recyclingunternehmen aufkaufen, um ihren Rohstoffbedarf zu decken.
Der Weg in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft sei unumkehrbar und der Transmissionsprozess schreite voran, konstatierte Will in seiner Begrüßungsrede. „Wir nehmen jedoch bisher nur wahr, dass die Branchenunternehmen vor allem zunehmendem Dirigismus in der europäischen und deutschen Gesetzgebung unter dem Deckmantel des Umweltschutzes ausgesetzt sind. Auch dieser Herausforderung müssen und werden wir uns stellen.“
Eine Frage der Schrottqualität
Nachdem Emmanuel Katrakis, Generalsekretär des europäischen Dachverbandes EuRIC (European Recycling Industries Confederation), den aktuellen Stand im Hinblick auf die Revision der europäischen Abfallverbringungsverordnung referiert hatte, schilderte Jeremy Jones von der amerikanischen Beratungsfirma CIX Inc., welche Schrottqualitäten für die klimaneutrale Stahlproduktion benötigt werden. Seinen Worten zufolge wird das weltweite Aufkommen an „End-of-Life“-Schrott, das 2018 bei ungefähr 390 Millionen Tonnen lag, gemäß den Prognosen im Jahr 2030 etwa 600 Millionen Tonnen und 2050 rund 900 Millionen Tonnen erreicht haben. Die global verfügbare Schrottmenge wird den Schätzungen zufolge im Jahr 2050 sogar noch um mehr als 300 Millionen Tonnen größer sein, wenn alle Schrotte (Alt- und Neuschrott sowie Abfälle aus der Stahlproduktion und den Gießereien) zusammengerechnet werden.
Für die Stahlproduktion sind Metallfraktionen mit niedrigem Kupfergehalt gefragt. Allerdings hat sich in Versuchen zur Reduzierung des Kupfereintrags in aufbereitetem Schrott gezeigt, dass der Kupfergehalt in Stahl 0,06 bis 0,1 Gewichtsprozent beträgt, der Schredderschrott aber einen Kupferanteil von 0,25 bis 0,3 Gewichtsprozent aufweist. Das zusätzliche Kupfer stamme von Autokomponenten, die nicht separiert worden seien, informierte der Redner. Das störende Metall könne beispielsweise durch erneutes Schreddern und Magnetabscheidung separiert werden, was aber nicht wirtschaftlich sei. Deshalb müssten größere Anstrengungen unternommen werden, solche unerwünschten Metallanteile abzutrennen. Laut Jeremy Jones sollten Stahlerzeugnisse so gestaltet sein, dass sich Kupfer und andere unerwünschte Verunreinigungen vor dem Recycling leicht demontieren lassen.
Um den Vorrat an qualitativ hochwertigen Materialien zu erhalten, rät der Fachmann zu einer intensiven Zusammenarbeit von Autoindustrie sowie Stahllieferanten und schlägt vor, neben dem „Design for Recycling“ auch Strategien zu realisieren, um beispielsweise Kabelbäume aus Altautos vor dem Schreddern zu entfernen. Gleichzeitig hält er eine enge Zusammenarbeit der Stahlhersteller mit den Schrottaufbereitern für unerlässlich, um qualitativ hochwertigen Schrott mit geringen Verunreinigungen zu separieren. Laut Jeremy Jones würde dies wahrscheinlich auch Auswirkungen auf die Kostenstruktur der verschiedenen Schrottsorten haben; Stahlproduzenten würden mehr bezahlen müssen, um die Verfügbarkeit saubererer Schrottqualitäten sicherzustellen.
Im Hinblick auf das steigende Altschrott-Aufkommen ist es nach Ansicht des Experten auch notwendig, nach Möglichkeit die in Materialien vorhandenen Restgehalte an NE-Metallen auf die herzustellenden Produkte abzustimmen. So ließe sich – in Abhängigkeit von den Kupfer-Anforderungen des Produkts – beispielsweise rezyklierter Betonstahl wieder zu Betonstahl oder Stabstahlprodukten verarbeiten. Ohne solche Programme würden wechselseitige Verunreinigungen von wertvolleren Schrottfraktionen erfolgen.
Um einen Qualitätsschrott zu erhalten, schlägt Jeremy Jones zudem entsprechende wirtschaftliche Anreize vor. Schrottaufbereiter, denen mehr Geld für Material mit niedrigem Kupfergehalt bezahlt werde, würden die gewünschten Qualitäten eher liefern. Auch eine bessere Koordination sowie Kommunikation von Aufbereitern und Stahlproduzenten wäre ein Schritt in die richtige Richtung, betonte er.
Chancen für den Mittelstand
Die Frage „Bietet die Rückwärtsintegration der Stahlindustrie eine Chance für den Mittelstand?“ beantwortete Axel Burghardt von der Wagner GmbH in seinem Vortrag mit einem eindeutigen „ja“. Mit „Rückwärtsintegration“ ist gemeint, dass die Unternehmen der Stahlindustrie eine oder mehrere vorgelagerte Fertigungsstufen selbst übernehmen und die Aufbereitung von Schrott zu einsatzfähigen Sekundärrohstoffen in den eigenen Prozessablauf integrieren. Als Fertigungsstufe könne die Schrottaufbereitung in den Stahlerzeugungsprozess eingegliedert werden, erläuterte er. Die vorgelagerten Schritte Sammlung und Sortierung gehören seiner Meinung nach nicht dazu, denn Schrott werde nicht produziert, sondern falle an. Als erste Chance für den Mittelstand sieht Axel Burghardt deshalb die „Ausweitung und Weiterentwicklung der Logistik sowie die Leistung für Dritte“. Diese könne die Wertschöpfung für die schrottliefernden Unternehmen verbessern, ohne das Handelsergebnis negativ zu beeinflussen.
Wenn die Umgehung der Preis- und Mengenabhängigkeit ein betriebswirtschaftlicher Grund für eine Rückwärtsintegration eines Stahlherstellers ist, so sieht Axel Burghardt auch in dieser Beziehung den Mittelstand im Vorteil. Grund: Die Unternehmen sind nah am Marktgeschehen, beliefern in der Regel mehr als einen Verbraucher und reagieren flexibel und schnell auf Veränderungen des Marktpreises. Er nimmt weiter an, dass die „wahrscheinliche Vernachlässigung der Funktionen Entsorgung und Logistik eines rückwärtsintegrierten Betriebes“ den mittelständischen Firmen der Branche Chancen bieten. Außerdem könne der Preisdruck auf bestimmte Schrottqualitäten sinken, weil sie von den Stahlproduzenten nicht nachgefragt werden. Obwohl der Schrotthandel auch mit Risiken wie dem Wegfall von Handelsmargen und höheren Lagerkosten rechnen müsse, habe die Branche durch ihre gewohnten Tätigkeiten nach wie vor Geschäftsmöglichkeiten.
Hans-Jürgen Wolter vom Institut für Mittelstandsforschung in Bonn hatte sich mit dem Thema „Green Deal und Marktwirtschaft“ beschäftigt und ging der Frage nach, ob die Folge der EU-Initiative eine Deindustrialisierung (Schrumpfung der industriellen Sektoren) sein könnte. Seinen Worten zufolge besteht der „Green Deal“ aus einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen und einer Vermischung unterschiedlicher Ansätze, wobei ordnungsrechtliche, informationelle und ökonomische Umweltinstrumente zum Einsatz kommen. In diesem Zusammenhang setze die EU zu stark auf Vorschriften und sollte das Nebeneinander der Umweltinstrumente beenden, betonte er. Aus marktwirtschaftlicher Sicht wäre eine klare Fokussierung auf ökonomische und informelle Instrumente wünschenswert, referierte er Ergebnisse von Unternehmensbefragungen. Obwohl die Umsetzung der Anforderungen mit finanziellen Belastungen und Investitionen in klimafreundliche Technologien einhergehen, rechnet er nicht damit, dass der „Green Deal“ in Deutschland zu einer Deindustrialisierung führen wird, wie so mancher befürchtet.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2023, Seite 16 -von Brigitte Weber-, Foto: Marc Weigert)