bvse-Jahrestagung 2024: Im Spannungsverhältnis zwischen Kreislaufwirtschaft, Wettbewerb und Kartellrecht
Auf welche Herausforderungen muss sich die Recycling- und Entsorgungsbranche zukünfig einstellen? Das erörterten die Teilnehmer der bvse-Jahrestagung 2024 am 24. und 25. September in Hamburg. Die globalen Krisen halten das politische und wirtschaftliche Geschehen fest im Griff und wirken sich auf die Rahmenbedingungen für die Branche aus – beispielsweise im Hinblick auf die Containerverknappung und die Sicherung der Energieversorgung.
Neben der Wahl des Präsidiums und der Vorstände der Fachverbände für drei Jahre feierte der bvse auch sein 75-jähriges Bestehen. Präsident Henry Forster blickte auf anstrengende, aber erfolgreiche Jahre zurück und sprach die globalen Krisen an, die auch die unternehmerische Tätigkeit beeinflussen. Zugleich lobte er die positive Entwicklung des Verbandes: „Trotz vieler negativer Trends entwickelt sich unser Verband prächtig. Das macht mich stolz.“ Forster hob besonders die Arbeit der Geschäftsstelle hervor: „Ich darf Ihnen sagen, dass es den unfassbar fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Geschäftsstelle gelungen ist, in all den vergangenen Krisen als Team zusammenzuhalten und diesen Verband unter der vorbildlichen Führung von Eric Rehbock zu dem zu machen, was er ist. Wir können heute mit fast 1.100 Mitgliedsunternehmen den 75. Geburtstag unseres Verbandes feiern.“
Henry Forster würdigte zudem die Leistungen der Ehrenamtlichen, insbesondere in den Fachverbänden. Diese arbeiteten hart, investierten Zeit und Geld, oft ohne im Rampenlicht zu stehen. Ein „schönes Beispiel“ sei das neu gegründete bvse-Frauennetzwerk, das unter Leitung von Christiane Neuhaus großen Zuspruch erfahre. Es zeige, dass der bvse nicht nur der mitgliederstärkste, sondern auch ein moderner Verband sei. Für seine kommende Amtszeit kündigte Forster an, veraltete Prozesse zu modernisieren, darunter auch die Beitragsordnung. Die bisherige Praxis, Beiträge nach Stoffstrommengen zu erheben, bezeichnete er als ungerecht: „Das können wir besser und gerechter!“
Offen für neue Entwicklungen
bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock betonte in seinem Rechenschaftsbericht, dass der Verband „offen für neue Entwicklungen“ bleiben müsse und sich den aktuellen wie zukünftigen Herausforderungen stelle. Rehbock berichtete über Themen und Tagungen des bvse in den letzten zwölf Monaten und über den erfolgreichen Messeauftritt auf der diesjährigen IFAT Munich. Hier hob er besonders die Verleihung der „Grünen Engel“ hervor, die im Rahmen des bvse-Messeabends stattfand und von Dirk Steffens zusammen mit ihm und Florian Lankes, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Die Grünen Engel – Aufbereitungszentrum Nürnberg, moderiert wurde.
Eric Rehbock griff in seiner Rede aber auch neue Entwicklungen auf, wie beispielsweise das Recycling von Lithium-Ionen Batterien. Hier habe der Verband einen neuen Arbeitskreis gebildet, „um sich rechtzeitig und kompetent für ein neues Aufgabenfeld mit neuen Herausforderungen zu positionieren“. Der Hauptgeschäftsführer informierte zudem über das bvse-Nachhaltigkeitstool: Die Mitgliedsunternehmen können über jeden Entsorgungs- oder Liefervorgang einen CO2-Report erstellen und dem Kunden zur Verfügung stellen. Mit den neuen gesetzlichen Anforderungen zur umfassenden Nachhaltigkeitsberichterstattung stehen viele größere Unternehmen vor der Herausforderung, ihre CO2-Bilanz transparent abzubilden. Dazu sind kleinere mittelständische Unternehmen derzeit zwar noch nicht verpflichtet, aber darauf komme es auch nicht an. „Das ist wirklich ein wichtiges Thema, wenn man im Markt als Bestandteil der Lieferkette bleiben will. Sie müssen liefern können“, machte Rehbock deutlich.
Blicke hinter die Kulissen der Politik
Einen ganz besonderen Akzent setzte der langjährige CDU-Spitzenpolitiker Wolfgang Bosbach. Mit viel Humor und leidenschaftlichem Engagement gewährte er den Teilnehmenden Einblicke hinter die Kulissen der Politik und sparte dabei nicht mit deutlichen Worten. Für Bosbach steht fest: Bei der kommenden Bundestagswahl geht es um weit mehr als nur den Erfolg einzelner Parteien – es steht die politische und gesellschaftliche Stabilität unseres Landes auf dem Spiel. Die Entscheidung, wer die Wahl gewinnt, sei keineswegs gefallen, denn die Lage sei sehr instabil. Mit eindringlichen Worten wandte sich Bosbach an die Anwesenden: „Setzen Sie bei der Wahl Ihr Kreuz, wo Sie wollen – nur niemals bei politischen Extremisten, weder von links noch von rechts. Wenn solche Kräfte auch nur in die Nähe der Macht kommen, wird es für unsere Demokratie gefährlich.“
Wettbewerbsfragen in der Entsorgungsbranche
Andreas Mundt brachte die Teilnehmenden mit seinem Vortrag wieder in die Entsorgungsbranche zurück. „Solange wir Sie haben, wird uns die Arbeit im Bundeskartellamt jedenfalls nicht ausgehen“, begann der gut aufgelegte Präsident des Bundeskartellamts seine Ausführungen und bedankte sich beim bvse insgesamt und bei Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock persönlich „sehr herzlich“ für die wertvolle Zusammenarbeit.
Mundt hob hervor, dass die Branche wettbewerbsrechtlich zu den komplexesten gehöre. Mit einem Jahresumsatz von über 100 Milliarden Euro und 315.000 Beschäftigten sei sie jedoch auch ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor, den das Bundeskartellamt seit Jahrzehnten intensiv beobachte. Das Amt hat in den letzten Jahren sehr viele Fusionen gesehen, die zum Teil „vertieft“ geprüft wurden. Außerdem wurden zwei Sektoruntersuchungen in den Jahren 2021 und 2023 durchgeführt. „Das ist wahrscheinlich ein Rekord. Es gibt kaum eine Branche, die das Bundeskartellamt so gut kennt wie die Entsorgungswirtschaft“, konstatierte Mundt.
Gerade die Sektoruntersuchung, die im Jahr 2021 durchgeführt wurde, hat bei den Wettbewerbswächtern Sorge ausgelöst. Mundt: „Wir haben bei LVP und Altglas gesehen, dass wichtige Wettbewerbsparameter sich auf regionalen Märkten verschlechtert haben.“ Beispielsweise wurde festgestellt, dass es teilweise sehr hohe Marktanteile von einzelnen Anbietern bis hin zu Monopolen gebe. Aber auch bei bundesweiter Betrachtung sieht das Bundeskartellamt vor allem Zugewinne beim Marktführer Rethmann. „Auch das ist für uns aus wettbewerbsrechtlicher Sicht nicht gerade eine beruhigende Entwicklung.“ Insgesamt kann festgehalten werden, dass steigende Preise zu beobachten sind und die Zahl der im Markt aktiven Unternehmen „eher rückläufig“ ist. So ist die durchschnittliche Bieterzahl bei Ausschreibungen zurückgegangen und die Wahrscheinlichkeit eines Auftragnehmerwechsels gesunken. „Das lässt alles insgesamt auf eine rückläufige Wettbewerbsintensität schließen“, fasste Mundt die Erkenntnisse seiner Behörde zusammen.
Ähnlich sehe es aus bei Restmüll, Altpapier und anderen kommunalen Abfällen. Das Bild sei hier ein wenig heterogener, weil es sehr unterschiedliche Entscheidungsträger, sehr unterschiedliche Ausschreibungen gebe, aber trotzdem seien die Bieterzahl insgesamt und die Anzahl an Geboten je Ausschreibung leicht rückläufig. Auch hier sei jedoch ein hoher und steigender Anteil bei der bundesweiten Erfassungsmenge beim Marktführer Rethmann festzustellen. Mundt erklärte in diesem Zusammenhang, dass das Bundeskartellamt unter bestimmten Voraussetzungen ein Unternehmen verpflichten kann, jede Fusion anzumelden. Momentan führt das Bundeskartellamt ein Verfahren gegen Rethmann. Es werde zurzeit geprüft, ob eine solche Anordnung erlassen wird. „Ich glaube eine Entscheidung steht hier relativ kurz bevor“, erklärte der Kartellamtspräsident bei der bvse-Jahrestagung in Hamburg.
Duale Systeme: Unwucht zulasten der KMU
Besondere Aufmerksamkeit widmete Andreas Mundt auch der kartellrechtlichen Prüfung der Ausschreibungsverträge der dualen Systeme. Zwar habe sich dieses System grundsätzlich bewährt, er sehe aber eine Unwucht zulasten der kleinen und mittleren Unternehmen. Offen zeigte sich Mundt bezüglich längerer Vertragslaufzeiten. Das sei eine Frage der richtigen Balance: Wenn der Ausschreibungszeitraum zu kurz sei, können sich notwendige Investitionen nicht amortisieren. Sind die Ausschreibungszeiträume zu lang, gehe das zulasten derjenigen, die die Ausschreibung verloren haben.
Ein weiterer kritischer Punkt sei die Sicherungsleistung bei Ausfall eines dualen Systems durch Insolvenz. Die dualen Systeme stellen momentan Sicherheitsleistungen zugunsten der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger. Mundt glaubt jedoch, dass eine andere Lösung in Form einer Gesetzesänderung gefunden werden müsse, die auch die Entsorgungswirtschaft einbezieht.
Abschließend kritisierte Andreas Mundt die Novelle der Gewerbeabfallverordnung. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht sei es problematisch, dass im Entwurf die Kaskadenlösung eingeschränkt worden sei, weil somit weniger Unternehmen am Markt teilnehmen können. Stattdessen müsse vielmehr der Vollzug der bestehenden Regelungen bei den zuständigen Behörden verbessert werden. Darauf eingehend schlug bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock vor, dass der Vollzug bei den Müllverbrennungsanlagen ansetzen solle, um eine wirksame Kontrolle zu erreichen und so die stoffliche Verwertung zu stärken.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2024, Seite 26, Foto: Andi Karg)