27. Internationaler Altkunststofftag des bvse: Kunststoffrecycling hat Zukunft – trotz bestehender Widrigkeiten
Beim diesjährigen Internationalen Altkunststofftag, den der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. in Dresden veranstaltete, diskutierten mehr als 300 Branchenvertreter über die Chancen und Risiken der neuen EU-Verordnungen.
Dass das Kunststoffrecycling aus verschiedenen Gründen unter Druck steht, ist für die in diesem Bereich tätigen Unternehmen seit einiger Zeit eine Tatsache. Laut Dirk Textor, Vorsitzender des bvse-Fachverbands Kunststoffrecycling, ist deshalb ein Kurswechsel erforderlich. Die Branche stecke in einer Krise, die jedoch in etlichen Teilen hausgemacht sei, betonte er in einem Pressegespräch am Rande der Veranstaltung. „Fehlende politische Leitplanken, mangelnde Investitionen in die Erfassung und Sortierung von Abfällen sowie die einseitige Konzentration auf neue Technologien haben das System aus dem Gleichgewicht gebracht.“
Gleichzeitig betonte er aber auch, dass das Kunststoffrecycling nicht mit einer Krise gleichzusetzen sei. Es gebe auch funktionierende Teilbereiche – allen voran das mechanische PET-Recycling, das sich als Stabilitätsanker in unruhigen Zeiten erweise. Auch unter schwierigen Marktbedingungen behaupte sich Recycling-PET (rPET), denn aufgrund seiner Qualität sei die Nachfrage stabil. Regulatorische Maßnahmen wie die EU-Einwegkunststoffrichtlinie (Single Use Plastics Directive – SUPD) und die geplante Verpackungsverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation – PPWR) stärkten diesen Bereich und verdeutlichten seine Bedeutung insbesondere für Lebensmittelverpackungen.
Wie Textor weiter erläuterte, ist jedoch künftig mit einem Mangel an Material zu rechnen. Seinen Angaben zufolge reiche die Menge an lebensmitteltauglichem rPET in Deutschland aktuell gerade aus, um die Vorgaben der SUPD zu erfüllen; für andere Anwendungen fehlen die notwendigen Mengen. Eine aktuelle Studie der BKV prognostiziere eine Rezyklatlücke von rund 860.000 Tonnen in Deutschland bis 2030 – europaweit fehlten perspektivisch sogar 3,5 Millionen Tonnen.
Das chemische Recycling wird nach Einschätzung des bvse diese Lücke nicht schließen können und stellt – zumindest bei PET – derzeit keine Alternative dar. Die aufwändige und kostenintensive Solvolyse habe bisher nur geringe Kapazitäten erreicht und agiere zudem außerhalb der klassischen Abfallwirtschaft.
Dass beim Recycling von Mischkunststoffen häufig vorschnell von „Downcycling“ gesprochen wird, hält Dirk Textor für sachlich falsch und klimapolitisch kontraproduktiv. Die Realität zeige, dass daraus marktgängige, international gefragte Produkte mit realem wirtschaftlichen Wert entstehen. Diese Form des Recyclings sei weder minderwertig noch ineffizient – im Gegenteil: Sie beweise, dass nachhaltiges Wirtschaften und wirtschaftliche Tragfähigkeit kein Widerspruch seien.
Nach Auffassung des bvse-Fachverbandsvorsitzenden sind mehrere Schritte notwendig, um das Kunststoffrecycling aus der Krise zu führen. Zunächst sollten deutlich mehr Kunststoffe hochwertig sortiert dem Recycling zugeführt werden. Dies erfordere eine flächendeckende Verbesserung der Erfassung und Sortierung von Leichtverpackungen (LVP). Zudem sollten sowohl post-industrielle Abfälle, einschließlich sogenannter pre-consumer-Ströme, in die Betrachtung einfließen. Darüber hinaus brauche es faire Wettbewerbsbedingungen für das mechanische Recycling. Es sollte – wie das chemische Recycling – durch ein Zertifikatsmodell abgesichert werden, das gleiche Rahmenbedingungen für alle Technologien schafft. Nur so könne die Leistung des mechanischen Recyclings für die Kreislaufwirtschaft angemessen gewürdigt und langfristig gesichert werden, ist Dirk Textor überzeugt.
Die europäischen Regeln – und die möglichen Folgen
„Endlich bekommen wir einen europäischen Rechtsrahmen mit Substanz – und Verbindlichkeit“, betonte Dr. Thomas Probst, bvse-Experte für Kunststoffrecycling, im Rahmen des Pressegesprächs. Mit der Neufassung der Verordnung über Verpackungen und Verpackungsabfälle (PPWR), der Altfahrzeugrichtlinie (ELV) und der WEEE-Richtlinie (für Elektro- und Elektronik-Altgeräte) verabschiede sich die EU zunehmend von freiwilligen Zielvorgaben – und ersetze sie durch verbindliche Recycling- und Rezyklat-Einsatzquoten. Diese beiden Zielgrößen würden eine deutlich positive Wirkung auf den Ausbau und die Stabilisierung des Kunststoffrecyclings in Europa entfalten. Anhand der SUPD und PPWR lasse sich belegen, dass ein verbindlicher Rechtsrahmen entscheidend dazu beitragen kann, valide und tragfähige Recyclingstrukturen aufzubauen.
Die neue PPWR trat am 11. Februar 2025 in Kraft und gilt in allen EU-Mitgliedstaaten ab dem 12. August 2026. Mit der Verordnung verfolgt die EU ein ambitioniertes Ziel: Verpackungen sollen wieder zu Verpackungen werden. „Der Anspruch ist hoch, denn dieser Idealzustand steht einer Praxis gegenüber, in der vielfach noch offene Kreisläufe dominieren“, konstatierte er. „Aus Getränkeflaschen werden Schalen oder Folien – echte Kreisläufe, in denen Verpackungen wieder zu Verpackungen werden, sind bislang die Ausnahme.“ Besonders im Lebensmittelbereich sei die Verfügbarkeit geeigneter Rezyklate eingeschränkt; lediglich rPET erfülle aktuell die strengen lebensmittelrechtlichen Anforderungen. „Wir haben die technischen Grundlagen für hochwertiges Recycling“, so Probst weiter. „Aber ohne ausreichende Mengen geeigneter Inputstoffe bleibt der Aufbau geschlossener Kreisläufe Stückwerk.“
Ein weiteres Novum der PPWR ist die explizite Einbeziehung gewerblicher und industrieller Verpackungsabfälle. Hier erwartet die Branche tiefgreifende Veränderungen: „Wir brauchen neue Erfassungssysteme, die Kunststoffabfälle aus dem Gewerbebereich getrennt und effizient erfassen – ohne zusätzliche Bürokratiemonster zu schaffen“, so Probst. Der bvse befürworte gemeinsam mit BDE, GKV und IK den Aufbau intelligenter, digital unterstützter Systeme unter der Verantwortung der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR). Ziel sei es, bewährte Strukturen zu erhalten und weiterzuentwickeln – bei gleichzeitig schlanken Melde- und Registrierungspflichten.
Verdrängung durch Importe aus Asien
Ein wachsendes Problem sieht der bvse in der zunehmenden Einfuhr asiatischer Off-Spec-Ware (Anm. d. Red.: Off Spec = außerhalb der Spezifikation), die in Europa deutlich günstiger angeboten wird als heimische Rezyklate. Laut Probst führe diese Entwicklung zu einer doppelten Verdrängung: Europäische Kunststoffproduzenten gerieten unter Druck, und für hochwertige Rezyklate würden die Absatzmärkte wegbrechen. Dies gefährde nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Recyclings, sondern auch die Zielsetzungen einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft.
Besonders kritisch sei das regulatorische Ungleichgewicht: Während Exporte aus der EU streng überwacht werden, gelte für Importe nach Europa kaum Kontrolle. „Wenn wir wirklich eine geschlossene Kreislaufwirtschaft wollen, muss Europa hier dringend nachsteuern“, forderte Probst. „Wir brauchen eine kohärente europäische Strategie, die Produktion, Verarbeitung und Recycling von Kunststoffen in Europa hält, stärkt und zukunftsfähig macht.“
Eine Wunschliste mit sechs Punkten
Eine seit zwei Jahren nachlassende industrielle Nachfrage habe zu einem spürbaren Preisverfall bei Primärkunststoffen sowie Rezyklaten geführt, berichtete bvse-Vizepräsident Dr.-Ing. Herbert Snell. Rezyklate kämen nur dann zum Einsatz, wenn sie preislich unter der Neuware liegen. Ein strategischer, der Nachhaltigkeit verpflichtender Einsatz finde viel zu selten statt, bedauerte er. „Hinzu kommen illegale Rezyklat-Importe, die ohne Einhaltung europäischer Standards und unter Verletzung geltenden Rechts den hiesigen Markt schwächen und europäische Recycler zunehmend verdrängen.“
Darüber hinaus sei das Recycling wegen der hohen Energiepreise in Deutschland für viele Unternehmen defizitär, schilderte Snell die Lage der Branche. „Gleichzeitig lähmen Überregulierung, bürokratische Hemmnisse und Fachkräftemangel den notwendigen Umbau zur Kreislaufwirtschaft. Europaweit führen diese strukturellen Belastungen zu einer sinkenden Produktionsleistung. Die Recyclingkapazitäten gehen zurück, Insolvenzen nehmen zu.“
Um eine funktions- und wettbewerbsfähige wie auch nachhaltige Kreislaufwirtschaft in Europa zu ermöglichen, hat der Verband sechs Wünsche an die Politik:
- Europa benötige einen effektiven Marktschutz und eine faire Handelsregulierung. Es sei notwendig, für recycelte Kunststoffe sowie für Produkte mit Rezyklat-Anteil eigene Zollcodes einzuführen. Nur so ließen sich Einfuhren transparent überwachen und rückverfolgen. Zudem sollte ein sogenannter Spiegelklausel-Mechanismus sicherstellen, dass importierte Produkte denselben Standards entsprechen wie Erzeugnisse aus europäischer Produktion.
- Die Energiepreis-Problematik müsse gelöst werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der Recyclingunternehmen zu sichern.
- Zudem gelte es, den Preisdruck auf Rohstoffe zu verringern und Spekulationen mit Kunststoffabfällen wirksam einzudämmen. Der Handel mit sortierten Kunststoffabfällen sollte auf zertifizierte Unternehmen beschränkt werden. Auf diese Weise ließe sich sicherstellen, dass nur fachlich qualifizierte Akteure Zugang zum Markt haben. Eine Standardisierung sei ebenfalls erforderlich. Nur wenn Mengen, Qualitäten und Verwertungswege vergleichbar seien, lasse sich auch die Recyclingquote verlässlich erhöhen.
- Nach Verbandsposition sei es erforderlich, die Qualität entlang der gesamten Kette – von der Sammlung über Sortierung und Recycling bis hin zur Wiederverwertung – konsequent zu sichern. Die Vorschriften und Qualitätsstandards müssten in der gesamten EU gelten.
- Weil der bürokratische Aufwand sowohl Innovationen als auch Investitionen ausbremse, werde eine grundlegende Vereinfachung der regulatorischen Anforderungen benötigt, beispielsweise eine deutliche Reduktion und Harmonisierung der Berichtspflichten für Unternehmen, etwa zur Recyclingquote, zur Abfalleigenschaft oder zur Einhaltung der Vorschriften für Mikroplastik. Auch ein EU-weit einheitlicher Prüfrahmen zur Zertifizierung von Recyclingprozessen und -anlagen sowie die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren werden als vorteilhaft angesehen.
- Um den Markt für Rezyklate dauerhaft zu stabilisieren, seien laut Verband gezielte finanzielle Anreize und Fördermittel erforderlich. „Die öffentliche Hand sollte ihre immense Marktmacht durch nachhaltige Beschaffung nutzen“, betonte Snell. „Konkret fordern wir steuerliche Vorteile für Produkte mit europäischem Rezyklat-Anteil und klare Beschaffungskriterien, die die Verwendung europäischer Rezyklate priorisieren.“
Kunststoffrecycling: Verfügbare Mengen und künftige Lücken
Während des Internationalen Altkunststofftages stieß der Workshop „Mengen, Märkte, Preise“ auf großes Interesse, denn nicht jeder Interessierte konnte im Raum auf einem Stuhl am Tisch Platz nehmen. Vorgestellt wurde die neueste Conversio-Studie, aus der Christoph Lindner von der Conversio Market & Strategy GmbH ausgewählte Aspekte vortrug. Diese Studie – getragen von 16 Verbänden und Gruppierungen – beschreibt im zweijährigen Turnus das „Stoffstrombild Kunststoffe in Deutschland“, diesmal für das Jahr 2023.
Den Angaben zufolge wurden in Deutschland 8,82 Millionen Tonnen Kunststoffe auf Basis fossiler Rohstoffe erzeugt, was einen Rückgang um 1,89 Millionen Tonnen gegenüber 2021 bedeutete. Die Menge in Höhe von insgesamt 2,01 Millionen Tonnen an Rezyklaten stammte aus der Aufbereitung von Post-Consumer-Abfällen (1,64 Millionen Tonnen) sowie Post-Industrial-Abfällen (370.000 Tonnen). Außerdem wurden etwa 430.000 Tonnen an Nebenprodukten aus Produktions- und Verarbeitungsprozessen aufbereitet und erneut eingesetzt.
Die Kunststoffverarbeitung zu Kunststoffprodukten (einschließlich Rezyklaten und der Wiederverwendung von Nebenprodukten) lag bei 12,85 Millionen Tonnen, was eine Abnahme gegenüber 2021 um 1,19 Millionen Tonnen oder 8,5 Prozent bedeutete. Die Einsatzmengen von Rezyklat aus Post-Industrial-Abfällen nahmen im Vergleich zum Jahr 2021 um 15.000 Tonnen zu, während sich die Einsatzmenge von Rezyklat aus Post-Consumer-Abfällen um 268.000 Tonnen erhöhte.
Wie Christoph Lindner weiter erläuterte, wurden von den erfassten 5,58 Millionen Tonnen Post-Consumer-Abfällen (2021: 5,44 Millionen Tonnen) rund 35,4 Prozent (1,98 Millionen Tonnen) stofflich und etwa 64,0 Prozent (3,57 Millionen Tonnen) energetisch als Ersatzbrennstoff oder in MVAs verwertet. In die mechanische Verwertung gelangten 1,85 Millionen Tonnen (oder 35 Prozent), während rund 10.000 Tonnen chemisch und 20.000 Tonnen rohstofflich verwertet wurden. Etwa 30.000 Tonnen mussten beseitigt werden.
Nach Lindners Meinung besteht im Hinblick auf die zusätzliche Erfassung von Kunststoffen aus Haushalten, Bau und Gewerbe durch die getrennte Sammlung großes Potenzial. Angesichts der Menge, die unbehandelt in die energetischen Verwertungsanlagen gelange, könne eine konsequenter getrennte Sammlung der gebrauchten Kunststoffe zu einer besseren Rezyklat-Versorgung beitragen. Der Weg zu einem flächendeckenden Einsatz von 25 Prozent Post-Consumer-Rezyklat für alle Anwendungen, wie es einige Gesetze oder auch freiwillige Selbstverpflichtungen forderten, sei in vielen Sektoren noch weit. Die Erfüllung der Rezyklat-Einsatzquoten sei nur teilweise realistisch. Die Mindesteinsatzquoten aus dem Entwurf der EU-Verpackungsverordnung (PPWR) könnten für PET-basierte Lebensmittelverpackungen und Non-Food-Verpackungen in Deutschland voraussichtlich erfüllt werden. Für Nicht-PET-Verpackungen bleibe jedoch eine Angebotslücke von etwa 120.000 bis 160.000 Tonnen bestehen.
Europäische Dimensionen
Wie groß der Bedarf an Rezyklaten in der gesamten Europäischen Union (EU-27 +3) ab 2030 wahrscheinlich sein wird, erfuhren die Anwesenden von Dr. Ingo Sartorius von der BKV GmbH, die bei Conversio eine entsprechende Studie in Auftrag gegeben hatte. Nach der Prognose wird der Bedarf an Post-Consumer-Rezyklat – vom Gesetzgeber gefordert und durch zusätzliche marktbedingte Nachfrage – im Jahr 2030 ungefähr 13,072 Millionen Tonnen betragen. Dabei ist davon auszugehen, dass im Verpackungssektor rPET und rPO stark nachgefragt werden, während im Baubereich PO- und PVC-Anwendungen weiter zunehmen. In den Sektoren Auto und Elektro wäre die angenommene Rezyklat-Quote von 25 Prozent durch den intensiveren Einsatz von recyceltem PP und technischer Kunststoffe (ABS, PA, PC, PMMA etc.) zu decken. Dagegen werden in „nicht-regulierten“ Sektoren (zum Beispiel Haushalt, Freizeit und Sport sowie Landwirtschaft) leichte Zuwächse erwartet.
Um die künftige Verfügbarkeit von Rezyklaten einschätzen zu können, wurden in zwei Szenarien (Business-as-usual sowie Advanced) entsprechende Berechnungen durchgeführt. Nach den Ergebnissen ist es eher unwahrscheinlich, dass die geforderte Rezyklat-Quote zu erreichen ist. In der Mengenbetrachtung bleiben die für den Rezyklat-Einsatz erforderlichen Qualitäten in den jeweiligen Einsatzgebieten unberücksichtigt. Dadurch kann der tatsächliche Engpass noch größer ausfallen, so Ingo Sartorius in seiner Präsentation. Seinen Worten zufolge bleiben gebrauchte Kunststoffverpackungen auch in Zukunft eine wichtige Quelle von Post-Consumer-Rezyklat. Das chemische Recycling werde zur Rezyklat-Herstellung bis 2030 nur geringe Mengen beitragen können.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 08/2025, Seite 10 -von Brigitte Weber-, Fotos: bvse)