KI und Recycling: Es wächst zusammen …
Vor einigen Monaten bezeichnete der bvse Künstliche Intelligenz „als Katalysator für den Materialkreislauf“. Tatsächlich wird KI für die Recyclingwirtschaft zunehmend unverzichtbarer. Doch noch befinden sich viele der Anwendungen in der Erforschung, Entwicklung oder Erprobung. Ohnehin verlangt Künstliche Intelligenz ein ständiges Überprüfen und Dazulernen.
Vor allem bei der Abfallentsorgung spielt Künstliche Intelligenz eine zunehmend wichtigere Rolle. Hier können KI-Technologien wie Machine Learning, Prozessautomatisierung und Datenanalyse per KI helfen, Arbeitsabläufe zu optimieren, die Produktivität zu steigern und Betriebskosten zu optimieren. Darüber hinaus vermögen sie Ausfallzeiten zumindest zu minimieren, Anlagenstopps zu verhindern oder sogar Brandgefahren zu vermeiden, indem sie mithilfe von Sensoren, Kameras und lernfähigen Algorithmen beispielsweise falsch zugeordnete Batterien und Akkus in Abfallströmen detektieren. Bereits 2023 nahmen Renondis Recycling und die RE Plano GmbH eine Anlage in Betrieb, die mittels KI sechs verschiedene Farben von Kunststoffverpackungen aus Gewerbeabfällen trennen, per KI-Bilderkennung ein- und mehrschichtige Verpackungen separieren oder auch Silikonkartuschen aus dem Materialstrom aussortieren kann.
2024 erklärte Parshva Mehta, Co-Founder und COO von PolyPerception, in einem Interview des „K-Mag“ (Magazin der K Messe), dass sich die Deep-Learning-Modelle dieser Technologie unterschiedlichen Abfallströmen in Europa anpassen und „eine zuverlässige Klassifizierung verschiedener Materialien wie Polyethylen, Polypropylen, PET und anderer gewährleisten“ können. (Nicht umsonst hat sich Tomra einen 25-prozentigen Anteil an PolyPerception gesichert.)
Gießkanne oder Mobiltelefon?
Insgesamt hat sich die KI-Technik soweit entwickelt, dass sich Abfälle heute bereits bei der Sammlung kontrollieren lassen. So schickt seit wenigen Wochen Entsorgungsverband Saar EVS seine Müllfahrzeuge mit Detektionssystemen zum Auffinden von störenden Inhalten auf Tour. Deren Systeme fotografieren die Abfalltonnen-Inhalte, untersuchen automatisch die Materialien und erkennen mithilfe von KI eine falsche Befüllung. Angaben des Spiegel-Magazins zufolge ist das System in mehreren Städten in Baden-Württemberg und in Ludwigshafen im Einsatz.
Eine noch stärker individualisierte Abfalldetektion bietet die Wertis-KI – eine Smartphone-App, die im Alltag das richtige Müllentsorgen erleichtern soll. Entwickelt am Institut für Recycling an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg, nutzt das System KI zur Bilderkennung und zur Darstellung lokaler Entsorgungsunterschiede. Die Handy-Kamera eines Wertis-Nutzers kann beispielsweise Gießkanne, Pfandflasche, altes Mobiltelefon oder andere Haushalts-Gegenstände unterscheiden und den richtigen – auch alternativen – Entsorgungsweg sowie Standorte und Öffnungszeiten von Sammelstellen zeigen.
Großstückig: Zwischen Stör- und Wertstoffen unterscheiden
Sperrmüll oder Bauschutt können derzeit nur mit hohem manuellem und technischem Aufwand recycelt werden. Während kleinere Abfallfraktionen wie Verpackungen oder Papier bereits maschinell in bandgeführten Sortieranlagen getrennt werden können, stellen großstückige Abfälle wie Sperrmüll oder Baureste nach wie vor eine Herausforderung dar. Ein Konsortium unter der Koordination des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) hat nun mit SmartRecyclingUp einen neuartigen technischen Ansatz entwickelt, der moderne KI-gestützte Sensorik, maschinelles Lernen und automatisierte Steuerungssysteme zu einem intelligenten Gesamtkonzept vereint.
Dabei wird das Abfallgemisch zunächst umgelagert, durchmischt und in einen Zerkleinerer gefüllt. Multispektrale Kameras, Tiefensensoren und ein KI-basierten Auswertungsverfahren ermöglichen in Echtzeit die Unterscheidung zwischen Stör- und Wertstoffen. Die Information wird automatisch an die Steuerung des Krans oder Baggers gegeben, sodass die unterschiedlichen Fraktionen sortenrein getrennt werden können. Tests haben inzwischen gezeigt, dass die Kombination aus KI, Sensorik und Robotik im Bereich der Abfallverwertung praktisch funktioniert.
Der erste KI-WEEE-Sortierer?
Im Januar 2024 jubilierten der Elektrorecycling-Spezialist SWEEP Kuusakowski und das Technologieunternehmen Recyclingeye: Sie verkündeten die angeblich erste erfolgreiche kommerzielle Anwendung Künstlicher Intelligenz bei der Erkennung und Sortierung von Elektro- und Elektronik-Altgeräten in Großbritannien. Die neue Technologie könne Leiterplatten erkennen und folglich Edelmetalle rückgewinnen. Auch sei sie in der Lage, Batterien anhand von visuellen Merkmalen zu erkennen und auszubringen. In Verbindung mit einem KI-gesteuerten Luftstrahlsystem sei es möglich, „zwischen höherwertigen, edelmetallhaltigen Gegenständen wie Kupfer, Leiterplatten, Kabeln und Messing und minderwertigen Materialien wie Aluminium, Plastik, Stahl, Eisenmetallen und Batterien“ zu unterschieden und zu sortieren. Das setzt allerdings bereits einen gewissen Grad der physischen Demontage der Materialien voraus.
Zerstörungsfreie Demontage mit iDEAR und KIKERP
Das Projekt iDEAR des Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF setzt hingegen auf die automatisierte, zerstörungsfreie, roboterbasierte Demontage von Elektronikgeräten für das Remanufacturing und werkstoffliche Recycling. Noch würden über 80 Prozent des E-Waste deponiert oder verbrannt, der Rest entweder geschreddert oder – zu einem geringen Teil – manuell demontiert, gereinigt, mechanisch zerkleinert und schließlich sortiert und fraktioniert. Diese manuelle Demontage sei jedoch mit hohen Kosten verbunden und wenig effektiv. Das iDEAR-Projekt zielt hingegen ab auf „automatisierte und zerstörungsfreie Demontageprozesse, um ein zertifizierbares und geschlossenes Abfallmanagementsystem zu etablieren“, damit möglichst verschiedene Produkte mit geringem Engineeringaufwand und in Echtzeit demontiert werden.
Wozu die zerstörungsfreie Analyse von (möglichem) Elektroschrott in der Praxis nützen kann, verdeutlicht ein anderes Fraunhofer-Projekt. KIKERP – die Abkürzung für Künstliche Intelligenz-basierte Erkennung und Klassifizierung von Elektro(-alt)geräten zur robotischen Prozessautomatisierung in kreislaufwirtschaftsorientierten digitalen Managementökosystemen – entwickelt zurzeit ein System zur bildunterstützten Produkterkennung. Mit seiner Hilfe kann zukünftig der Nutzer eines – unter Umständen noch funktionstüchtigen oder reparierbaren Haushaltsgeräts, wie beispielsweise einem Kühlschrank – mit Smartphone oder Tablet optische Informationen wie etwa Marke, Produkttyp, Farbe und Artikelnummer erfassen und das Gerät anschließend aus verschiedenen Winkeln und Perspektiven fotografieren, um auch eventuelle Gebrauchsschäden, Kratzer, Rost oder Leckagen zu dokumentieren. Anschließend bewertet die KI mithilfe dieser Eingaben die Qualität der Ware. Daraus lassen sich Parameter wie Preis oder Zustand ableiten oder weitergehende Entscheidungen für das Gerät treffen. (Ob dieses allerdings funktionsfähig ist, muss zusätzlich entschieden werden.)
Hochreine Fraktionen erwartet
Laut dem Systemhersteller Tomra ist damit noch längst nicht das Optimum an E-Schrott-Separation erreicht. Letztlich seien dazu Deep Learning-Technologien notwendig, die auf künstlichen neuronalen Netzen beruhen, welche auf riesige Datenmengen inklusive optischen Informationen trainiert werden, sodass sie bestimmte Muster erkennen, speichern und diese dann schließlich auf neue Daten anwenden können. In der späteren Anwendung – bei Kombination bestehender Sortiersysteme mit Deep Learning-Technologien – nutzen hochentwickelte Algorithmen die Objekterkennung, „um Millionen von markierten Bildern in der Software zu vergleichen und einzelne Objekte und Materialien zu identifizieren, während sie die Sortierstraße durchlaufen. Diese Innovation würde dann hochreine und benutzerdefinierte Fraktionen liefern, die Materialausbeute verbessern und neue Einnahmequellen schaffen.“
Textilien: Mit einer Genauigkeit von über 95 Prozent
Im Januar 2025 präsentierte die Messe Frankfurt drei Unternehmen, die „die Textilsortierung mit Robotern, KI und Algorithmen revolutionieren“ wollen. So hatte die inzwischen insolvente Soex-Gruppe (Teile des Unternehmens hat die IZ Circular Textiles GmbH erworben) ab 2015 vor, an der Entwicklung einer Automatisierungstechnik für die Textilsortierung zu arbeiten: Nahinfrarot-Lichtwellen analysieren die molekulare Zusammensetzung von Textilien und erkennen so auch Materialkombinationen.
Das dänische Startup NewRetex besitzt eine Anlage, die Alttextilien in 31 verschienene Sammelkörbe sortiert. Seine innovative Technologie kann Textilabfälle mit einer Genauigkeit über 95 Prozent nach Materialart, -zusammensetzung und -farbe trennen. Und das belgische Unternehmen valvan verfügt über „Fibersort“, eine Textilien-Sortiermaschine, die nach eigenen Angaben KI-Modelle nutzt, um Faserbeschaffenheit und Farbeigenschaften von gebrauchten Textilien zu identifizieren und diese zu separieren. Die KI soll in der Lage sein, die Konzentration von reinen Fasern und Fasermischungen auf Basis von Nahinfrarot-Spektroskopie zu prognostizieren und es aufgrund einer Farb-Kamera zu ermöglichen, Textilien nach Farben zu sortieren.
Wiederverwertbarkeit optimiert
Doch die Forschung geht weiter und will tiefer in die Materie einsteigen. So arbeiten das Projekt CRTX, die TU Berlin, circular.fashion und die Freie Universität Berlin daran, die Lücke zwischen der Sammlung gebrauchter Textilien und der spezifischen Second-hand-Sortierung sowie dem Faser-zu-Faser-Recycling mittels Spektroskopie und Bildanalyse zu schließen, um einen kontinuierlichen Materialkreislauf zu ermöglichen. Und das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) fördert das Verbundvorhaben der Hochschule Kempten namens „SprayCloth“ für drei Jahre mit einem Betrag von 220.000 Euro, um ein hochmodernes System zu entwickeln, das durch eine neuartige Sortierung die vollautomatische optische Erkennung mit mechanischer Trennung kombiniert. Das neu zu entwickelnde System soll bedeutende Vorteile für die Textilindustrie bringen: Es ermöglicht eine optimierte Wiederverwertbarkeit von textilen Rohstoffen und soll durch dieses Recycling das Abfallaufkommen reduzieren.
Batterierecycling: Schäden im Voraus erkennen
Zur sicheren Nutzung von Lithium-Ionen-Batterien haben Forscher der TU Darmstadt und des MIT Methoden zur Analyse und Überwachung von Batterien mit Ansätzen des Maschinellen Lernens entwickelt. Mit ihrer Hilfe lassen sich zeitliche und betriebsbedingte Veränderungen in Batteriezellen erkennen. Die Untersuchungsmethoden können in Echtzeit und auch auf große Datenmengen angewendet werden, sodass mögliche Schäden schon im Voraus erkannt werden. Speziell Bränden in Sortieranlagen will die WeSort.AI GmbH mit ihrem „BatterySort“ genannten System zuvorkommen: Ein auf Künstlicher Intelligenz aufbauender Sicherheitscheck des Würzburger Startups ermöglicht, den Abfallströmen falsch zugeordnete Batterien und Akkus zu detektieren.
Um gebrauchte Batterien aus Elektrofahrzeugen effizient und sicher weiterzuverwenden, hat sich ein interdisziplinäres Projektteam im Forschungsprojekt „QuaLiProM“ das Ziel gesetzt, die Restleistung und Lebensdauer – kurz: den Gesundheitszustand – gebrauchter Lithium-Ionen-Batterien zu bestimmen. Für die innovative Schnelltestmethodik des QuaLiProM-Projekts steht allerdings noch der Transfer der Methodik von der Laborebene auf die industrielle Skala an.
Manuelle Systeme können nicht mehr mithalten
Im Vorfeld des Internationalen Batterie-Recycling Kongresses ICBR 2025 in Valencia sprach der Veranstalter ICM mit Richard Thompson, dem Vizepräsidenten für Portfolios, Innovation & Digital von Smiths Detection. Nach dessen Darstellung legt sein Unternehmen die erste vollautomatische Sortierlinie zur Identifizierung und Klassifizierung aller Sorten tragbarer Batterien unter fünf Kilogramm vor, inklusive Akkus – quer durch alle Chemikalien – mit über 98-prozentiger Genauigkeit.
Indem fortschrittliche Multi-Sensoren-Technik, KI-betriebene Klassifizierung und erprobte Röntgenbildgebung zum Einsatz kommen, werde die Komplexität vom manuellem und hybridem Sortieren beseitigt. Angesichts verändernder Chemie und rasch wechselnder Designs seien manuelle Systeme nicht mehr in der Lage, hinsichtlich Durchsatz und Konformitätsanforderungen mitzuhalten. In der Industrie sei eine Verschiebung hin zur Vollautomation, ermöglicht durch Künstliche Intelligenz, und eine hochreine Sortierung als Standard zu erwarten. In dieser Hinsicht bietet die von Richard Thompson beschriebene Plattform „höhere Sicherheit, Durchsatz, Konformität und Material-Rückgewinnung, während sie die Betriebskosten senkt und Recycler in die Lage versetzt, zuversichtlich zu kalkulieren“.
Fahrzeugersatzteile: Kostspielige Suche vermieden
Eine Reihe von Projekten konzentriert sich auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Erkennung von Schäden an Automobilteilen und der Beschaffung von Ersatzteilen. So startete im 2022 das Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK sein Forschungsprojekt EIBA (kurz für Erfassung, Identifikation und Bewertung von Altteilen). Dieses KI-basiertes Assistenzsystem für die „teilautomatisierte bildbasierte Identifikation von Altteilen ohne QR- oder Barcodes“ zielt auf das Sortieren und Auswählen für die Wiederverwendung geeigneter Stücke. Die Schwierigkeit dabei: die eindeutige Identifizierung und Bewertung von teils stark verschmutzten und verschlissenen Fahrzeugbauteilen.
2023 startete BMW mit Forschern aus Freiberg und München das „Car2Car“-Recyclingprojekt, um in hochgradig automatisierten Anlagen den Altfahrzeugen durch Einsatz von Robotern, Künstlicher Intelligenz und neuartigen Sensoren Aluminium, Stahl, Glas, Kupfer und Kunststoffe zu entziehen. Die ITK Engineering wiederum hat gemeinsam mit Bosch Cognitive Services eine Lösung entwickelt, um auf Basis eines cloudbasierten neuronalen Netzes mögliche Fahrzeug-Ersatzteile zu identifizieren. Nach Darstellung des Unternehmens „fotografiert das Wartungspersonal das kaputte Ersatzteil mit einem Smartphone oder Tablet oder lädt ein bereits verfügbares Bild in die Cloud. Anhand dieser Aufnahme erhält es binnen weniger Sekunden eine Liste infrage kommender Teile sowie deren ID und Lagerort. Dadurch ist das passende Ersatzteil leicht zu lokalisieren, und eine langwierige und damit kostspielige Suche wird vermieden.“
Ob bei Kommunalabfällen, Sperrmüll, Bauschutt, Elektro-Schrott, Textilien, Batterien oder Ersatzteilen für Fahrzeugen: Künstliche Intelligenz und Deep Learning verändern und optimieren ganz offenbar das Recycling und dienen – wie es unter anderem der bvse formulierte – „als Katalysator für den Materialkreislauf“. Doch es gibt noch viel zu verbessern …
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 10/2025, Seite 10, Foto: MSV, KI-generiert)