Europa will ein Verbot für Einwegplastik-Müll. Aber wie?

Im Mai legte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Eindämmung von Plastikmüll vor, in der Folgezeit verschärften EU-Abgeordnete einige Punkte, und am 24. Oktober plädierte das EU-Parlament für ein überwiegend akzeptiertes Verbot für Wegwerfprodukte aus Kunststoff. Im Kampf gegen Einwegplastik-Müll ist damit nur ein erster Schritt getan.

Nun stehen Einweggeschirr und -bestecke, Wattestäbchen, Strohhalme und Rührstäbchen aus Kunststoff auf dem Index. Das Verbot auf oxo-abbaubare Materialien und bestimmte Styropore wurde ausgeweitet. Mitgliedstaaten sollen veranlasst werden, den Verbrauch von Lebensmittelbehältern und Getränkeverschlüssen um 25 Prozent und den Abfall von plastikhaltigen Tabakfiltern bis 2025 auf 50 Prozent und bis 2030 auf 80 Prozent zu reduzieren. Zudem sollen für verlorenes Fischereigerät bis 2050 eine Sammelquote von 50 Prozent und eine Recyclingrate von 15 Prozent gelten. Für Getränkebehälter aus Kunststoff gelten ab 2025 eine verpflichtende Getrenntsammelquote von 90 Prozent und ein Recyclinggehalt von mindestens 35 Prozent. Und schließlich sind als Maßnahmen ein Erweitertes Produzentenverantwortlichkeits-Programm, das Reinigungskosten und Sensibilisierungsaktivitäten einschließt, sowie ein ebensolches Programm und harmonisierte Standards für Fischereiausrüstungen vorgesehen.

Ein starkes politisches Signal

Die Reaktionen auf diese Vorgaben waren weitgehend positiv. EuRIC, der Verband der Europäischen Recyclingindustrie, sieht das Verbot als ein starkes Marktsignal zur Steuerung der Nachfrage nach Recyclingkunststoff. FEAD, die Europäische Föderation der Abfallwirtschafts- und Umwelt-Dienstleister, begrüßt die gestiegenen Recycling- und Sammelquoten. Der BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft sieht in der politischen Entscheidung ein starkes Bekenntnis des Parlaments zu einer Weiterentwicklung der europä­ischen Kreislaufwirtschaft, die Marktchancen für Rezyklate erhöhe, ohne dabei den Kunststoff zu verteufeln. Für den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) sticht besonders hervor, dass das sogenannte oxo-abbaubare Plastik verboten werden soll. Auch die Deutsche Umwelthilfe begrüßt die Gleichbehandlung von Wegwerfprodukten aus fossil basiertem Kunststoff und Bioplastik und wertet das Verbot als starkes politisches Signal. Aus Sicht der EU-parlamentarischen Berichterstatterin Frédérique Ries wird die Abstimmung den Weg für eine ehrgeizige Richtlinie zum Schutz der Meeresumwelt und hinsichtlich Kostenreduktion für Umweltschäden ebnen. Für Lisa Kernegger, Expertin für Plastik bei Global 2000, habe das Europäische Parlament gerade Geschichte geschrieben.

Ohne zusammenhängendes Konzept

Die Kunststoffbranche ist weniger begeistert. Für PET Sheet Europe, Petcore Europe und Plastics Recyclers Europe gehen die Brüsseler Beschlüsse in die vollkommen falsche Richtung, hätten doch die PET Sheet-Hersteller den Anteil an Rezyklaten in ihren Produkten in den letzten Jahren ständig gesteigert. Getrenntsammlung und zielorientiertes Recycling seien die Lösung für Einwegplastik – ein Konsumverzicht würde die Verpflichtungen der Branche und die Initiativen in Richtung Kreislaufwirtschaft sabotieren. In diesem Sinne mahnt auch European Bioplastics an, dass die Beschränkung von Einweg-Kunststoffen die „kreislaufwirtschaftlichen Bemühungen“ und die europäische Konsumrealität reflektieren müsse. So seien in geschlossenen Systemen wie Kantinen, Flugverkehr, Sport- oder Musikveranstaltungen Einweg-Cateringprodukte häufig eine unverzichtbare und effiziente Lösung, um Sicherheit und Lebensmittelhygiene zu gewährleisten. Auch würden biologisch abbaubare, zertifiziert kompostierbare Kunststoffe die strengen europäischen Anforderungen hinsichtlich Gesundheits- und Sicherheitsstandards erfüllen und könnten daher zusammen mit Lebensmittelabfällen gesammelt und organisch recycelt werden.

Praxisferne Gesetzgebung

Kritik üben auch European Plastics Converters: Die Abgeordneten hätten die sich ändernde, vage Definition von „Einweg“ beibehalten und das Verbot, das ursprünglich auf zehn der häufigsten Kunststoffprodukte gemünzt war, auf unterschiedlichste Plastikverpackungen ausgedehnt. Dabei würden viele dieser Produkte bereits unter die Richtlinie für Verpackungen und Verpackungsabfälle fallen und sollten besser mit einer europäischen Anti-Litter-Kampagne für alle Konsumenten angegangen werden, anstatt dass Produkte verboten werden, die durch andere weniger umweltfreundliche Alternativen ersetzt werden sollen. EuPC-Geschäftsführer Alexandre Dangis wetterte: Der Parlamentsbeschluss sei ein Stück praxisferner zusätzlicher EU-Gesetzgebung, „das viele verschiedene Interpretationen auf nationaler Ebene ohne zusammenhängendes Konzept zulässt“. Und der europäische Verpackungsverband pack2go erklärt, hier würden kurzerhand wichtige Gesetze durchgepeitscht, ohne die Folgen abzuschätzen. Es drohten Einbußen im Lebensmittelsektor oder Probleme bei der Lebensmittelhygiene, wenn der Plastikverbrauch drastisch gesenkt werde.

Eine Mammutaufgabe

Mit dieser Einschätzung liegt pack2go nicht völlig falsch, da die Trag- und Reichweite der beabsichtigten Veränderungen kaum abzusehen sind. Denn sollten bei der Umsetzung der Verbote auch die Hersteller in die Verantwortung genommen werden, müssten die EU-Mitgliedstaaten laut Entwurf dafür sorgen, dass Tabakunternehmen die Kosten für Abfallsammlung, -transport und -behandlung ihrer Produkte übernehmen. Dasselbe gilt auch für die Hersteller von kunststoffhaltigen Fischfanggeräten. Es müsse verhindert werden, dass ein Umstieg von Einweg-Kunststoff auf Einweg-Papier oder -Holz möglich wird, mahnt der NABU. Außerdem sollte man bedenken – fügt DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch hinzu –, das die Lösung des Plastikproblems nur dann zu erreichen sei, „wenn Wiederverwendungsquoten für Verpackungen verbindlich festgelegt und Plastik generell durch eine Abgabe verteuert wird“. Und Patrick Hasenkamp, VKU-Vizepräsident der Abfallsparte, ist der Meinung, dass zur Reduktion von Mikroplastik „bereits bei den Produktherstellern, den Verursachern, angesetzt werden“ muss. Und fordert sogar, dass Mikroplastik – das auch in Wasch- und Putzmitteln vorkommt – in der Kosmetik verboten werden sollte. Die Realisierung solcher Vorhaben dürfte angesichts unterschiedlichster Abfallwirtschaften in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten zur Mammutaufgabe werden, die in einer Reihe weiterer notwendiger Gesetzesvorhaben mündet.

Getränkeindustrie will Unverbindlichkeit

Diese Aufgabe wird nicht leichter dadurch, dass einige große Getränkehersteller eine eigene Vorstellung vom Umgang mit Kunststoffverpackungen vertreten. Zurzeit sind Verschlüsse in der Planung, die an der Plastikflasche „angebunden“ sind, nicht als Abfall „verlorengehen“, leicht herzustellen sind und kaum etwas kosten. Trotzdem sprachen sich – berichtete der britische „Independence“ – Coca-Cola, Nestlé, Pepsi Cola und Danone gegen einen solchen Flaschenverschluss aus Plastik aus, schrieben an EU-Ratsmitglieder mit der Bitte, einen entsprechenden Vorschlag zu kippen, und regten eine nicht-verbindliche Verpflichtung für ein 90-prozentiges Plastikflaschen-Recycling bis 2025 an. Rob Buurman vom niederländischen Recycling-Netzwerk glaubt nicht, dass die Vorschläge der Getränkekonzerne irgendetwas am Problem ändern könnten: Er sieht darin eine klassische Hinhalte-Taktik.

Definition zu weit gefasst

Greenpeace vermutet dahinter zumindest eine eklatante Schwächung der geplanten Richtlinie, sieht im momentanen Parlaments-Entwurf aber noch eine andere Schwierigkeit. Die Umweltschutz-Organisation hält die Definition von Wegwerfplastik für zu weit gefasst und warnt vor Schlupflöchern für Konzerne: Damit diese das nicht ausnutzen, müsse es während der Triloggespräche zu einer eindeutigen und klaren Definition von Wegwerfplastik kommen. Meeresbiologe Thilo Maack befürchtet: „Die Konzerne könnten nach aktuellem Vorschlag die Reduktionsziele schlicht ignorieren, wenn sie ihre Produkte als wiederverwendbar kennzeichnen, ob es sich um Wegwerf-Plastikbecher oder Strohhalme handelt.“ Und im Namen der Rethink Plastic Alliance fügte Kevin Stairs hinzu: „Diese Gesetzeslücke ist ein ernstes Versehen des Parlaments und widerspricht dem gesunden Menschenverstand. Jedermann kennt einen weggeworfenen Plastikverschluss oder Strohhalm, wenn er ihn sieht. Hersteller, die ihn einfach als wiederverwendbar vermarkten, werden die Verschmutzung unserer Flüsse und Meere nicht aufhalten. Eine Schildkröte, die an einem umbenannten Stück Plastik erstickt, ist immer noch eine tote Schildkröte.“

Der endgültige Beschluss der Richtline benötigt noch weitere Verhandlungen der nationalen Regierungen. Wenn eine gemeinsame Position erreicht ist, folgt der Trilog zwischen dem Europäischen Rat, dem Parlament und der Kommission. Bei einer Einigung noch 2018 müssten die Staaten die neuen Regeln bis 2021 umsetzen.

Foto: pixabay

(EU-Recycling 12/2018, Seite 12)

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