Die novellierte Gewerbeabfallverordnung stößt auf Kritik
Die im Jahr 2017 novellierte Gewerbeabfallverordnung soll die gemischte Erfassung gewerblicher Siedlungs- sowie Bau- und Abbruchabfälle erheblich einschränken und den Anteil getrennt gesammelter Abfälle an deren Produktionsstätte erhöhen. Die Branche wartete seitdem auf die Vollzugshinweise der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft, äußerte aber im Vorfeld ernst zu nehmende Kritik und ließ diese auf mehreren Tagungen laut werden.
Eine erste Stellungnahme zum Thema lieferte Henry Forster, Geschäftsführer der Gesellschaft im Ostalbkreis für Abfallbewirtschaftung mbH, am 13. Februar auf den 16. Münsteraner Wirtschaftstagen. Für ihn standen in Münster die Recyclingquoten im Vordergrund. Seiner Ansicht nach sollten angesichts eines volatilen Marktes Sekundärrohstoffe sinnvollerweise ihre Daseinsberechtigung durch spätere Nachfragen nach ihnen beweisen; daher seien stoffliche Quoten in der vertikalen Prozesskette der Kaskadenvorbehandlung „ein wenig nachhaltiges Instrument“. Dienen hochwertige Brennstoffe als Substitute für fossile Energieträger, müssten sie im Sinne einer Quote anerkannt werden.
Freilich könne man nur Wertstoffe aussortieren und rückgewinnen, die auch vorhanden seien. Forster hält daher schon 15 Prozent Recyclingquote – aus den restlichen Mischfraktionen – für optimistisch, addiert man die Prozentzahlen von Eisenmetallen, Nichteisenmetallen, sonstigen Metallen, Folien, Hartkunststoffen, PPK und sonstigen Abfällen. Würden höhere Quoten seitens des Gesetzgebers gewünscht, sei das nur durch höhere Investitionen in die Technik oder stärkeren personellen Einsatz möglich. Eine 30-prozentige Recyclingquote sei damit durchaus realistisch, nicht aber zum jetzigen Zeitpunkt und unter den gegebenen Rahmenbedingungen zu erreichen.
Vollzugsaufwand erschwert
An gleicher Stelle sah Enno Simonis, Geschäftsführer der Otto Dörner Entsorgung GmbH, für den Baubereich vor allem die umfangreichen Dokumentationspflichten in einem „krassen Missverhältnis“ zu den erwartbaren Veränderungen. Da der Abfallerzeuger die Verantwortung für die Entsorgungskette trägt, werde der Vollzugsaufwand durch mehrere zu kontrollierende Stellen erschwert. Es gebe im Baubereich Unternehmen mit über 100 zum Teil nur tageweise bedienten Baustellen, für die nachgewiesen werden müsse, dass die Getrenntsammlungspflicht erfüllt wurde, das Material vorrangig zu Wiederverwendung oder Recycling vorbereitet sei oder auch die technische Umsetzung als unmöglich beziehungsweise die wirtschaftliche Realisierung unzumutbar war.
Zu den zumindest redundanten Anweisungen des Gesetzes gehören nach Ansicht von Enno Simonis jene, wonach Holz, Dämmmaterial und Bitumengemische getrennt gesammelt werden sollen, was bereits vor der Novellierung sofern möglich realisiert wurde. Auch sei die getrennte Sammlung von Baustoffen auf Gipsbasis bislang schon notwendig gewesen, da sich deren Sulfatgehalt für die Verwertung als Ersatzbaustoff oft als problematisch herausstelle. Ebenso seien Beton und Ziegel bei genügend Platz und Menge bereits getrennt gesammelt worden, jedoch würden Ziegel, Fliesen und Keramik auch getrennt keine höherwertige Verwendung finden.
Dokumentationsaufwand senken
Simonis‘ Fazit einer zu realisierenden Gewerbeabfallverordnung fiel wenig positiv aus. Seiner Meinung nach ist die getrennte Sammlung kein Selbstzweck, wie am Beispiel von Ziegel, Fliesen und Keramik zu sehen sei. Platzmangel, technische Probleme oder Unwirtschaftlichkeit auf Baustellen machten auch weiterhin Behälter für gemischte Bau- und Abbruchabfälle notwendig. Wie die Kaskadenvorbehandlung in der Praxis vollzogen werden soll, sei noch unklar.
Außerdem sei die Recyclingquote zum Beispiel für mineralische Baustoffe einfach zu berechnen, eine Sortierquote jedoch schwierig, da das Unterkorn nach der Separation direkt auf die Deponie wandert. Zur Vereinfachung schlägt der Baurecycling-Experte ein Annahmeverbot von gemischten gewerblichen Siedlungs- und gemischten Bauabfällen für Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoff-Aufbereitungsanlagen vor. Darüber hinaus wäre ein deutlich gesenkter Dokumentations- und Vollzugsaufwand hilfreich.
Zurückhaltung bei Investitionen
Von den jährlich 40 Millionen Tonnen an Gewerbeabfällen werden bereits rund 33 Millionen Tonnen von den Erzeugern getrennt und somit lediglich sieben Millionen Tonnen an Abfallgemischen erfasst. Das machte Peter Kurth, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft, in seiner Rede auf der Berliner Recycling- und Rohstoff-Konferenz am 11. März 2019 deutlich. Als positiv an der novellierten Gewerbeabfallverordnung verzeichnete er, dass sie durch die Erweiterung um Trennpflichten zu einer „echten“ Recyclingverordnung geworden sei; dass sie die Getrenntsammlung und damit die möglichst sortenreine Erfassung ausweitet; und dass sie einen klaren Fokus auf den Abfallerzeuger legt, der die Abfallströme maßgeblich lenkt.
Als negativ schlägt aus seiner Sicht zu Buche, dass die Marktchancen sowie die spätere Verwendung der Rezyklate ungeklärt sind; dass eine Recyclingquote von 30 Prozent für gewerbliche Mischabfälle zu hoch angesetzt ist; und dass die Kontrolle der Abfallerzeuger offen bleibt: Bislang habe es einen „allgemeinen Vollzugsausfall“ bei den Gewerbebetrieben gegeben, und selbst wenn man den Schwerpunkt der Umsetzung nur auf kleine, mittlere und Großunternehmen setzt, seien fast 700.000 Anfallstellen im Blick zu behalten.
Auch gebe es nach den Erfahrungen der letzten Jahre eine „gewisse Zurückhaltung“ der Entsorgungswirtschaft bei Investitionen. Kurths Forderungen: Die jetzige Verordnung müsse nachjustiert werden, indem die über Qualität nichts aussagende Recyclingquote ersatzlos gestrichen wird; indem die Getrenntsammelquote gestärkt wird, bei deren Feststellung die Entsorgungsfachbetriebe mitwirken sollten; und indem eine Übersicht über alle deutschen Vorbehandlungsanlagen veröffentlicht wird, um Transparenz zu gewährleisten.
Kaum hochwertige Konzentrate erzielbar
Das Argument des BDE-Präsidenten, eine Recyclingquote von 30 Prozent aus „erbärmlichen Restgemischen“ sei „utopisch“, formulierte Thomas Pretz von der RWTH Aachen auf dem 31. Kasseler Abfall- und Ressourcenforum am 11. April etwas moderater: „Aus Mischungen, die vielfach als Restabfall nach separater Erfassung verwertbarer Stoffe entstanden sind, lassen sich auch mit Einsatz von Sortiertechnologie nach aktuellem Stand der Technik nur schwerlich qualitativ hochwertige Konzentrate für eine werkstoffliche Verwertung separieren.“ Und rechnete aus, dass die Kosten für die mechanische Behandlungsanlage von Gewerbeabfällen die Erlöse für metallische wie werkstoffliche Sortierprodukte übersteigen. Das sei seiner Ansicht nach auf die gemischten und daher stofflich heterogenen Gewerbeabfälle zurückzuführen, die vor allem als Senke zu kategorisieren seien.
Zweifel am Vollzug
Dennoch sind in Deutschland Anlagen schwerpunktmäßig für Gewerbeabfälle neu errichtet, umgebaut oder erneuert worden. So berichtete in Kassel Lutz Siewek, Geschäftsführer beim Bremer Entsorger Nehlsen GmbH & Co. KG, über die neu in Betrieb genommene Gewerbeabfallanlage, die als Direktabnehmer von Abfällen oder auch als Teil von Kaskaden vorgelagerten Aufbereitungsanlagen fungiert. Allerdings gebe es Verbesserungsbedarf bei der Verwertung von Feinkornanteilen, müsse die interne und externe Datenhaltung und -vermittlung optimiert werden, seien einige Passagen der Verordnungstextes klarzustellen und sollten – Stichwort: Vollzug – die Überwachungsbehörden für die Zusatzaufgaben durch die novellierte Verordnung ausgerüstet werden.
An gleicher Stelle informierte Harmut Winck, Geschäftsführer bei PreZero Service Mitte GmbH & Co. KG, über die erste vollständig spezifische Sortieranlage für diese Abfälle in Hannover. Die Anlage sei – „bei entsprechender Inputqualität der Abfälle“ – gegenüber der Verbrennung konkurrenzfähig. Dazu habe die novellierte Gewerbeabfallverordnung die erforderliche Rechtssicherheit gegeben, auch wenn bei vielen Marktteilnehmern Zweifel bestanden hätten und bestünden, „dass der Vollzug auf Erzeugerseite praktisch umzusetzen sei“.
Fehlender Vollzug war auch ein Thema, das auf dem Kasseler Kongress die Entsorgerverbände beschäftigte. Hier unterstrich Peter Kurth noch einmal, dass bis dato die Vollzugshinweise der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft fehlen würden, eine Befolgung der Verordnung „beim Abfallerzeuger praktisch gar nicht stattfindet“, und dass ohne Vollzug keine Optimierung der Getrennterfassung erfolgen könne, was erforderliche Neuinvestitionen in Sortier- oder Vorbehandlungsanlagen verhindert.
Laut bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock zeigt die Gewerbeabfallordnung keine Wirkung. Lediglich aus Baden-Württemberg seien „umfangreichere Vollzugsaktivitäten“ gemeldet worden. Die 30-Prozent-Quote sei nicht nur unrealistisch, sondern nahezu kontraproduktiv: Sie zwinge die Betreiber von Vorbehandlungsanlagen geradewegs dazu, ihre Kunden zu mehr Gemischterfassung zu ermutigen. Aus Sicht von Rehbock führt die Gewerbeverordnung weder zu gleichen Wettbewerbsbedingungen noch zu mehr Investitionssicherheit.
Politischer Wille ist essenziell
Zu einer noch negativeren Einschätzung gelangte Jörg Scheibel, Sachverständiger bei der Revisa CycleProff GmbH. Er zählte in Kassel mangelnde Kenntnis der Abfallerzeuger über die Verordnung, fehlende oder nur teilweise Dokumentationen und unklare Regelungen über die internen Zuständigkeiten vieler Abfallerzeuger auf. Den überwiegenden Anteil daran hätten neben dem geringen Informationsstand der Betriebe die „verhaltene Vollzugsaktivität der Behörden“ und der daraus resultierende ausbleibende Handlungsdruck. Im Detail monierte Scheibel unklare Zuordnung von Abfallschlüsselnummern, Konflikte bei Anwendung von 17er-Abfallschlüsselnummern auf Gewerbeabfälle, undefinierte Herkunftsnachweise, schwammige Begründungen für Ausnahmetatbestände wie technisch unmöglich und unpräzise Angaben über Kostenvergleiche für wirtschaftliche Unzumutbarkeit.
Doch allen negativen Stimmen zum Trotz begrüßte am 10. April der BDE die Finalisierung der Vollzugshinweise, da nun alle Bundesländer „auf dieser Basis nun flächendeckend und gleichlaufend die Verordnung durchsetzen müssen“. So könnte nun nicht mehr wie bisher das Bundesland Sachsen die Sache aussitzen und damit Investitionen in eine moderne Recyclingwirtschaft verhindern. „Der Grundsatz, dass die seit Jahren praktizierte Getrenntsammlung in Haushalten auch von Gewerbebetrieben beachtet werden muss, ist in seiner Klarheit unmissverständlich. Erste Vollzugsaktivitäten – übrigens auch in dem anfangs sehr skeptischen Nordrhein-Westfalen – zeigen, dass die Verordnung sehr wohl durchsetzbar ist. Politischer Wille von der Landesspitze bis zu den örtlich zuständigen Vollzugsbehörden ist hierfür essenziell.“
Die Vollzugshinweise der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA-Mitteilung 34) sind mittlerweile unter www.laga-online.de/documents/m34_vollzugshinweise_gewabfv_endfassung_11022019_inh-red_aenderung_ 1554388381.pdf erschienen.
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Zur rechtlichen Bedeutung von LAGA-Vollzugshilfen merkt die BDSV an:
Es handelt sich weder um Gesetze noch um Allgemeine Verwaltungsvorschriften. Jedoch lässt sich den LAGA-Vollzugshilfen entnehmen, wie die überwiegende Meinung der oberen Abfallbehörden in Deutschland bei der Interpretation bestimmter Regelungen in abfallrechtlichen Gesetzen oder Verordnungen aussieht. Bei den Vollzugsbehörden vor Ort haben die LAGA-Vollzugshilfen erfahrungsgemäß hohe Orientierungswirkung. Die Adressaten der Gewerbeabfallverordnung können somit von Vornherein abschätzen, mit welcher Behördenmeinung sie in konkreten Fallgestaltungen höchstwahrscheinlich konfrontiert werden. Gute Gegenargumente auf der Betroffenenseite haben indessen immer eine Chance. Wenn ein Dissens mit der Behörde nicht im Verhandlungswege bereinigt werden kann, muss der gegenteilige Rechtsstandpunkt äußerstenfalls vor den Verwaltungsgerichten durchgefochten werden.
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Foto: O. Kürth
(EU-Recycling 05/2019, Seite 6)