Die „Entsorgung“ atomarer Abfälle gerät allzu leicht in Vergessenheit

„Kernenergie ist CO2-arm“ und dient der Klimaneutralität, verkündete am 2. Februar die EU-Kommission. Ob Kernreaktoren aber auch „unter strengen Auflagen einen Beitrag zum Klimaschutz leisten“ und „eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft“ spielen können? Das Aufkommen atomarer Abfälle aus stillgelegten, laufenden und geplanten Anlagen macht ihre Nachhaltigkeit fraglich.

Als die Bundesregierung 2020 gefragt wurde, welche Planungen ihr zu Bergung und Räumung des bis 1993 verklappten Atommülls in der Nordsee bekannt seien, antwortete die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter am 28. Mai: „Atommüll wurde vor dem Verklappungsverbot in der Nordsee von Belgien und dem Vereinigten Königreich verklappt.“ Planungen zu Bergung und Räumung seien der Bundesregierung nicht bekannt. Dass Deutschland 1967 insgesamt 480 Fässer in bis zu 5.200 Metern Tiefe versenkte, war der SPD-Abgeordneten offenbar entgangen.

Allzu leicht gerät auch ansonsten die „Entsorgung“ atomarer Abfälle in Vergessenheit. Beispielsweise die 1,9 Milliarden Euro zur Erkundung des Zwischenlagers Gorleben, die 20 Millionen Euro für dessen Offenhaltungsbetrieb und der zu erwartende dreistellige Millionenbetrag für den Rückbau des Bergwerks (Quelle: NDR); die Ausgaben für die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf in Höhe von 50 Millionen Mark für die Eingangshalle für Brennstäbe beziehungsweise das Brennelemente-Eingangslager samt Sicherheitsmaßnahmen in Höhe von rund 20 Millionen Mark (Quelle: Wikipedia); die Kosten für die Bergung der dilettantisch in die Asse II geschütteten Atommüll-Fässer von geschätzten vier bis sechs Milliarden Euro (Quelle: Spiegel); die knapp eine Milliarde Euro, mit der die Europäische Union der Ukraine seit 1991 die Sicherheit der Kernkraftruine in Tschernobyl unterstützt – nicht gerechnet die 2,15 Milliarden Euro, auf die der Unterhalt der „Schutzhülle“ bereits 2015 geschätzt wurde (Quelle: Deutschlandfunk).

In der Natur der Sache
Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass Kernkraftwerke radioaktive Abfälle verursachen. Bei Leichtwasserreaktoren beispielsweise ist nach rund fünf Jahren statt etwa vier nur noch ein Prozent Uran-235 in den Brennstäben vorhanden. Die alljährlich auszutauschenden 20 Prozent der Brennelemente sind stark radioaktiv, strahlen und geben Wärme ab. Sie müssen etliche Jahre im Abklingbecken kühlen, bevor man sie in massive Transportbehälter verfüllen und in ein Zwischenlager verbringen darf. Dort werden sie solange aufbewahrt, bis sie auf eine Temperatur heruntergekühlt sind, die dem Gestein im Tiefenlager entspricht, und endgelagert werden können.

Die verbliebenen 96 Prozent der Brennelemente – sie enthalten vor allem Uran-238, aber auch Uran-235 und Plutonium-239 – lassen sich theoretisch in Wiederaufbereitungsanlagen in radioaktive Abfälle und wiederverwertbare Brennstoffe trennen. Das daraus recycelte Uran-235, das resultierende Plutoniumdioxid sowie frisches Uran ergeben einen Mischoxid-Brennstoff, den sogenannten MOX, der erneut im Kraftwerk Verwendung findet. Die bei diesem Verfahren entstandenen Abfälle sind hochradioaktiv: Sie werden in Glas eingegossen, mit Stahlbehältern ummantelt und in speziellen Transportbehältern aufbewahrt, bevor sie in Zwischenlagern deponiert und schließlich auch im Tiefengestein ihre Bestimmung finden.

Nur wenig wiederaufbereitet
Das Paul Scherrer Institut und die ETH Zürich veröffentlichten 2002 Zahlen, die die Relation von wiederaufgearbeiteten und endgelagerten Brennelementen verdeutlichten. Danach produzierten weltweit 438 Kernkraftwerke jährlich rund 10.500 Tonnen an Schwermetallen, Uran und Plutonium (tSM). Davon wurden etwa 3.000 Tonnen wiederaufbereitet; auf den Rest wartete die direkte Endlagerung. Bis 2002 sollen sich mittlerweile 250.000 tSM angesammelt haben. Davon konnten Anlagen in Frankreich (La Hague), England (Sellafield) sowie in Japan, Russland und Indien insgesamt 5.000 tSM pro Jahr aufarbeiten, geplante Anlagen in China und Japan ab 2005 weitere 1.000 tSM pro Jahr. Wobei die Anlagen in La Hague und Sellafield bis etwa 1985 selbst noch „signifikante Mengen Radioaktivität freisetzten“ und erst ab der Jahrtausendwende ihre Emissionen ins Wasser auf annähernd Null reduzierten.

Laut Statista fielen im Jahr 2015 durch Kraftwerksstilllegung und Sanierung, zur Stromerzeugung sowie bei der Urananreicherung und Kernbrennstoffherstellung insgesamt rund 20 Millionen Kubikmeter an radioaktiven Abfällen an. Davon wurde knapp ein Viertel wiederaufbereitet.

Ãœbergangsweise und endgelagert
Nach aktuellen Angaben der Bundesgesellschaft für Endlagerung befinden sich in Deutschland 120.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle in Zwischenlagern; nur ein kleiner Teil davon hat die Prüfverfahren für die Endlagerung durchlaufen. Zudem sind mehrere hundert Castoren mit hochradioaktiven Abfällen übergangsweise gebunkert. Von den 15.000 Tonnen Schwermetall – Uran und Plutonium – in Form von abgebrannten Brennelementen aus noch in Betrieb befindlichen und aus abgeschalteten und teilweise stillgelegten Leistungsreaktoren wurden rund 6.500 Tonnen zur Aufarbeitung nach Frankreich und Großbritannien gegeben.

Bis zum Jahr 2080 ist mit rund 10.500 Tonnen hochradioaktiver Abfälle aus Brennelementen zu rechnen, deren Endlagerung vom Volumen des zukünftigen Standorts abhängt. Zudem sind rund 300.000 Kubikmeter schwach- und mittelradioaktiver Abfälle zur Endlagerung geplant. Auch soll – „wenn möglich“ – für die Rückholung radioaktiver Abfälle aus der Asse (220.000 Kubikmeter) und Rückstände aus der Urananreicherung (100.000 Kubikmeter) ein Endlager gefunden werden. Aus dem Rückbau von Kernkraftwerken addieren sich zu dem Aufkommen der erwähnten 120.000 Kubikmeter an schwach- und mittelradioaktiven Abfällen bis 2050 noch einmal etwa 180.000 Kubikmeter, die vorgesehen sind für das Endlager Schacht Konrad – dem ersten nach Atomrecht genehmigten Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Deutschland, das im Jahr 2027 fertig sein soll.

81 Prozent in Abklingbecken
Das ist alles in allem eine keineswegs rühmliche Bilanz für die Entsorgung atomarer Abfälle. So kommt auch der World Nuclear Waste Report 2019 mit Blick auf Europa nicht umhin festzustellen, dass im Jahr 2016 rund 81 Prozent der abgebrannten Brennelemente in Abklingbecken lagerten. Und dass zwar Frankreich und die Niederlande den Großteil ihrer abgebrannten Brennstoffe in die Wiederaufbereitung geben wollen, die meisten anderen Atomstrom produzierenden EU-Staaten dies aber ausschließen oder begrenzen. Die Bilanz des Reports: „Über 70 Jahre nach dem Beginn des nuklearen Zeitalters hat kein Land auf dieser Welt ein geologisches Tiefenlager für ausgemusterte Brennstäbe in Betrieb.“ Außer Finnland hätten nur Schweden und Frankreich tatsächlich einen Standort für die Lagerung hochradioaktiver Abfälle in einem frühen Ausschlussverfahren festgelegt.

GIF: Neue Reaktoren entwickeln
Dieser Umgang mit atomaren Brenn- und Reststoffen soll zukünftig anders werden. Nach Darstellung des Nuklearforums Schweiz schlossen sich im Jahr 2000 auf Initiative der Vereinigten Staaten neun Länder zum „Generation IV International Forum“ (kurz: GIF) zusammen. Ziel der inzwischen dreizehn Länder und Euratom ist es, „für die Zeit nach 2040 neue Reaktoren und Brennstoffkreisläufe zu entwickeln, die den Ressourcenverbrauch drastisch reduzieren, die Menge des radioaktiven Abfalls erheblich vermindern und den Missbrauch für Kernwaffen wesentlich erschweren.“

Das sollte geschehen, indem sechs ausgewählte Reaktorsysteme für die Weiterentwicklung vorgesehen wurden: der Salzschmelze-Reaktor (Molten Salt Reactor, MSR), der gasgekühlte Schnelle Reaktor (Gas-cooled Fast Reactor, GFR), ein mit Blei gekühlter Schneller Reaktor (Lead-cooled Fast Reactor, LFR), der mit Natrium gekühlte Schnelle Reaktor (Sodium-cooled Fast Reactor, SFR), der Leichtwasserreaktor mit überkritischem Dampf (Supercritical Water-cooled Reactor, SCWR) und die Weiterentwicklung der bisherigen Hochtemperatur-Reaktoren (Very High Temperature Reactor, VHTR). Auch auf der Agenda der Europäischen Union, die 2007 die „Sustainable Nuclear Fission Technology Platform“ ins Leben rief, stand ein Forschungsprogramm, das die Konstruktion eines mit Blei und eines mit Natrium gekühlten Reaktors sowie eines gasgekühlten Schnellen Hochtemperatur-Reaktors vorsah. Das Nuklearforum Schweiz sah in diesen Reaktortypen die „Technologie für übermorgen“ musste 2019 jedoch einräumen, dass es sich bei allen Projekten um Demonstrationsanlagen handelt, „welche die Wirtschaftlichkeit noch nicht nachgewiesen haben“.

MSR, FHR und MSFR
Wie sieht es aber mit der Nachhaltigkeit aus? Bei Flüssigsalzreaktoren oder Salzschmelzenreaktoren (MSR) sind zwei Typen zu unterscheiden. Im ersten Typ befinden sich sowohl Kühlmittel wie Betriebsstoffe – wahlweise Plutonium oder Uran-233 aus Thorium – in geschmolzenem Salz. Der zweite Typ wird als Fluoridsalz-gekühlter Hochtemperaturreaktor (FHR) oder als schneller Flüssigsalzreaktor (MSFR) bezeichnet, der durch maximal einen Millimeter große, im geschmolzenen Fluorid aufgelöste Feststoffpartikel betrieben wird. Nach Darstellung von GIF und IAEA produzieren diese Reaktoren weniger hochradioaktive Abfälle. Tatsächlich haben sie den Vorteil, neben einer effizienten und wirtschaftlichen Energieproduktion auch in Leichtwasserreaktoren entstandene Aktinoide oder Material aus stillgelegten Nuklearwaffen als Brennstoffe zu verarbeiten. Dadurch lässt sich der Bestand an Plutonium und geringeren Aktinoiden reduzieren.

Auch nach Ansicht des Anthropocene Institute sorgt dieser Reaktortyp aufgrund fehlender Brennstäbe für weniger konventionelle atomare Abfälle. Darüber hinaus soll die Wiederaufbereitung der hochgradig radioaktiven Flüssigsalze unnötig sein, da diese effizient für die Verbrennung der transuranischen Elemente sind. 2015 erschien in der Reihe „Energy Science & Engineering“ ein Artikel, der den MSFR für den „besten“ GIF-Reaktor hielt. Unter bestimmten Bedingungen würde der entstehende Abfall sich zusammensetzen aus 1. den angenommenen sechs Litern täglich an wiederaufbereitetem Flüssigsalz ohne Uran, 2. dem von der Abgasreinigung und dem Uran-Recycelsystem produzierten Abfall und 3. gelegentlich einem ausgedienten Reaktorkern und/oder einem Salztank.

Schnelle Reaktoren – bedenkliche Abfälle
Den Gas-gekühlten Schnellen Reaktor befürwortet das Gen IV International Forum unter anderem wegen seiner Abfall-Verringerung durch vielfache Brennstoff-Wiederverwertung und der Spaltung von langlebigen Aktinoiden. Die IAEA hingegen stand 1997 dem Gas-gekühlten Reaktor sehr kritisch gegenüber. Er produziere zwar eine Reihe von Abfällen, die – entsprechend verpackt – für eine direkte Tiefenlagerung geeignet wären. Doch einige Fragen seien offen, speziell hinsichtlich dem ausstrahlenden Graphit. Eine Studie, die 2010 am Institut für Nuklere und Neue Energie-Technologie an der Pekinger Tsinghua Universität entstand, sah bislang kein Verfahren, das Graphit in einen schwach radioaktiven Abfall verwandeln könnte, der den Kriterien zum Recycling von Aktinoiden oder dem Umgang mit Abfällen oder Abgasen entsprechen würde. Für China bestünde die direkteste, befriedigendste und kostengünstigste Lösung in der Entsorgung des Brennstoffs als komplettem Block.

Dem Blei-gekühlten Schnellen Reaktor bescheinigt das Gen IV International Forum ein „vermindertes Bedenken hinsichtlich atomaren Abfällen“, da er dazu befähigt ist, geringerwertige Aktinoide zu verbrauchen und angesammeltes Plutonium als Brennstoff zu nutzen. Allerdings kritisierte die IAEA an den Reaktorabfällen 2006 eine langlebige Radiotoxizität und eine ebensolche Hitze-Entwicklung der gebrauchten Brennelemente. Noch nach rund 80 Jahren Abkühlzeit strahle der Abbrand – insbesondere die Aktinoiden – immer noch mit 50 GWd/t (Gigawatt-Tagen pro Tonne Schwermetall ); 900 Jahre später läge die Hitze-Entwicklung weiterhin bei 100 Wd/t. Zudem träten unerwünschte mikrostrukturelle und chemische Veränderungen im Bergstollen-Material auf.

Die Beurteilung des Schnellen Natrium-gekühlten Reaktors durch die IAEA im Jahr 2006 fiel besonders schlecht aus. Vor allem deshalb, weil Natrium und Natrium-Kalium (NaK) hochreaktiv auf verschiedene Materialien ansprechen und zur Entstehung von giftigen Neben-Produkten führen. Deshalb müssten alle Natrium-Abfälle in einer inerten Athmosphäre befördert, gehandhabt und gelagert werden. Für Natrium in großen Mengen aus den Kreisläufen verbiete sich die Wiederverwendung in der Industrie, da alle Natrium-Kreisläufe letztendlich Abfälle und somit größere Reststoffmengen schaffen.

In sicheren Einschluss überführt
Auf die Vorstellung des superkritischen Wasser-gekühlten Reaktors und des weiterentwickelten Hochtemperatur-Reaktors auf ihrer Webseite verzichtet das Gen IV International Forum. Vielleicht auch deswegen, weil – wie es der Reaktor-Experte Rainer Moormann 2018 beschrieb – der Hochtemperaturreaktor inklusive des Kugelhaufenreaktor-Typs ein zehnmal höheres Volumen an verbrauchten Brennelementen pro Energieeinheit als ein Leichtwasserreaktor produziert, deren Unterbringung in Kanistern nicht adäquat wäre. Vielleicht auch, weil das Kernkraftwerk THTR-300 mit seinem Helium-gekühlten Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor des Typs Kugelhaufenreaktor im nordrhein-westfälischen Hamm – wie es Wikipedia ausdrückt – „zu den größten Fehlentwicklungen bei deutschen Projekten der vergangenen 55 Jahre gezählt wird“. Der Reaktor wurde bis 1997 in den sogenannten „sicheren Einschluss“ überführt und verursacht laut Quelle nach wie vor jährliche Kosten in Höhe von 6,5 Millionen Euro.

Frankreich – ohnehin das Land mit 56 der 108 europäischen Kernkraftwerke – setzt seine Hoffnungen auf den internationalen Kernfusionsreaktor ITER im südfranzösischen Cadarache. Was Abfälle anlangt, ist das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik schon jetzt davon überzeugt, dass nach 30 Jahren Betriebsdauer je nach Bauart zwischen 60.000 und 160.000 Tonnen radioaktiven Materials entstanden und zwischengelagert sein wird. Bei sorgfältiger Materialauswahl soll eine Endlagerung überflüssig sein: Nach 50 Jahren können 30 bis 40 Prozent unbeschränkt freigegeben werden; der Rest soll sich nach weiteren 50 Jahren rezyklieren und als Brennstoff wiederverwenden lassen.

Reaktorsysteme der Zukunft
Die wahren „Reaktorsysteme der Zukunft“ sieht das Nuklearforum Schweiz allerdings in den sogenannten „Small Modular Reactors“ (SMR). Das Marktforschungsunternehmen Valuates (Indien) sieht den globalen Markt für kleine modulare Reaktoren mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 15,8 Prozent von 3,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 auf 18,8 Milliarden US-Dollar bis 2030 wachsen. Die Regierungen in den USA, Kanada und Großbritannien fördern deren Entwicklung als „Clean Technology“. Die einzige Gemeinsamkeit dieser Reaktortypen liegt – wie das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung in einem Gutachten erklärt – darin, dass sie eine elektrische Leistung von unter 300 MW oder eine thermische Leistung weniger als 1.000 MW besitzen und mit wassergekühlten oder anderen Systemen arbeiten.

Großteil keineswegs neu
Diese Untersuchung weist darauf hin, dass der Großteil der aktuell umgesetzten beziehungsweise weit fortgeschrittenen SMR-Konzepte den Wasser-gekühlten Reaktoren zuzuordnen ist, „ein Großteil aktueller SMR-Konzepte lediglich bestehende Leichtwasser-Designs wieder aufgreifen“ und selbst die integralen SMR-Konzepte „keinesfalls neu“ sind, sondern auf Konzepte aus den 1960er Jahren zurückgehen.

Foto: WikimediaImages / pixabay.com

Auffallend – weil von bisherigen Reaktortypisierungen abweichend – ist lediglich die Kategorie „SMR mit schnellem Neutronenspektrum“. Eine Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2017 gibt zu bedenken, dass bei der Wiederaufarbeitung Schlämme oder kontaminierte Austauschteile anfallen, die endgelagert werden müssen. Nicht mehr aufbereitet und darum endgelagert werden müssen nach ihrem Einsatz ebenso abgebrannte MOX-Brennelemente einschließlich Plutonium und Aktinoiden. Eine mehrfache Zyklierung wird als „ökonomisch unattraktiv“ angesehen.

Besondere Herausforderungen für SMR
Mögen manche Anlagentypen auch technisch originell und ausgereift sein, kommen sie an bestimmten systemischen Herausforderungen nicht vorbei. Die Wiederaufarbeitung von abgebrannten Brennstoffen stellt bei einigen SMR-Reaktorkonzepten besondere Herausforderungen an Technik und Sicherheit. Angesichts der eingesetzten Brennstoffe sind vielfach längere Zwischenlagerungen erforderlich, bevor der Weitertransport zulässig oder möglich ist. Beim Austausch von Reaktor plus Brennstoff besteht die Notwendigkeit, den Transport des radioaktiven Reaktorkerns unter Sicherheitsvorkehrungen zu gewährleisten. Möglicherweise müssen von Fall zu Fall neue Endlagerkonzepte für das abgebrannte Material entwickelt und genehmigt oder gänzlich neue Endlager eingerichtet werden. Hinzu kommen schließlich die spezifischen Rückbaukosten für die gesamte SMR-Anlage, die laut einer Studie von Giorgio Locatelli und Mauro Mancini unabhängig von der Rückbaustrategie dreimal so hoch wie die konventioneller Kraftwerke ausfallen.

Auf ein vernünftiges Minimum begrenzen
Einerlei, ob es sich um hoch-, mittel- und schwachradioaktive oder wiederaufbereitete atomare Abfälle handelt: Die generellen Lösungen für die bei der Produktion von Kernenergie in gegenwärtigen und geplanten Reaktoren anfallenden Reststoffe lauten in Europa Abklingbecken, Zwischenlagerung oder Verbringung in geologische Tiefen. In der Sprachregelung der europäischen Abfallhierarchie heißt das unmissverständlich „Beseitigung“ oder „Deponierung“ – die schlechteste und darum am meisten ungeeignete Methode der Entsorgung.

Dennoch schreibt die Europäische Union mit einem Delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie bestimmten Kernenergie-Tätigkeiten das Potenzial zu, „eine wichtige Rolle beim Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft im Einklang mit den Klimazielen und Verpflichtungen der EU zu spielen, ohne dabei Investitionen in erneuerbare Energien zu verdrängen“. Dass dabei Atommüll ein Problem darstellt, ist den Verantwortlichen auch bekannt, heißt es doch in dem zugrunde gelegten Scheer-Bericht zur Taxonomy-Regulierung: „Die Generierung von atomaren Abfällen sollte auf ein vernünftiges praktisches Minimum begrenzt sein. Das bezieht sich nicht notwendig auf die Verminderung der Mengen an schon angefallenen radioaktiven Abfällen, sondern soweit als möglich auf die Vermeidung entstehender zusätzlicher Abfälle durch Auswahl und Gestaltung der Verfahren und durch Einführung von Dekontaminierung, Reinigung, Wiederverwendung und Recycling. Das Ziel ist die möglichste Reduzierung von Abfallmengen, die unter Umständen als radioaktiver Abfall behandelt werden müssen.“

An Maßnahmen wird vorgegeben: „Gering und sehr gering belasteter Abfall wird typischerweise entsorgt in Oberflächen- oder Oberflächen-nahen Einrichtungen von bis zu zehn Metern im Untergrund für ein paar hundert Jahre. Radioaktive Abfälle und abgebrannte Brennstoffe mit hohen Temperaturen werden in technischen Einrichtungen entsorgt, indem sie Hunderte von Metern in tiefe geologische Formationen für etliche hunderttausend Jahre eingebettet werden.“

Alles andere als nachhaltig
Man kann geteilter Meinung sein, ob solches Zwischen- oder Ablagern genügt, damit – wie es in den Ausführungen zur Taxonomieverordnung heißt – die langfristige Abfallbeseitigung keine erhebliche oder langfristige Beeinträchtigung der Umwelt verursachen darf. Fraglich ist auch, ob – wie vorgesehen – die EU-Mitgliedstaaten detaillierte Pläne aufstellen, um bis 2050 ein Endlager für hochradioaktive Abfälle betreiben zu können, ob „fortgeschrittene Vorhaben für die Langzeitlagerung nuklearer Abfälle“ praktische positive Auswirkungen auf die Umwelt haben, und ob die Einbeziehung der Kernenergie in die EU-Taxonomie tatsächlich die Entwicklung von Lösungen für die Endlagerung von Abfällen in anderen Teilen der EU beschleunigen kann.

Für die EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness ist die Taxonomie möglicherweise nicht perfekt, „aber eine echte Lösung, die uns in Richtung unseres obersten Ziels bringt – der Klimaneutralität.“ Die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke ist grundsätzlich anderer Meinung: „Atomkraft ist alles andere als nachhaltig und die Aufnahme in die Taxonomie ein großer Fehler“, erklärte sie gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Eines bleibt klar: Die Erde ist keine Scheibe, Schweine können nicht fliegen, und atomare Abfälle sind nicht nachhaltig.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2022, Seite 6, Foto: ar130405 / pixabay.com)

 

Anzeige