10. Herforder Recycling-Designpreis: Originalität weiterhin nach oben offen
Ein senkrecht stehendes Glasrohr, in dem sich oben frisches und unten zermatschtes Obst und Gemüse stapelt. Das ist das erste Fragen aufwerfende Objekt, auf das der Besucher stößt, der die Ausstellung zum 10. Recyclingpreis des Herforder Arbeitskreises Recycling e.V. betritt. Die Originalität der im dortigen Kunstmuseum Martha präsentieren Objekte besteht aber nicht nur in Form und Farbe, sondern vor allem in ihrer Funktionalität.
Prämiert: Hocker aus FFP2-Masken
Der 1. Preis des Wettbewerbs ging an den Südkoreaner Haneul Kim, der – wie der Name seines Produkts „Stack and Stack (In Pandemic)“ ausdrückt – stapelbare dreibeinige Hocker entwarf: gefertigt aus dem Polypropylen-Material von Covid-19-Schutzmasken, das er in einer Holzform zum Schmelzen brachte, färbte und erkalten ließ. „Vecchie Mura“ – mit dem 2. Preis bedacht – setzt sich dem Namen nach aus alten Mauern zusammen. Das Material stellt einen Recycling-Werkstoff dar, der aus einer Mischung von 30 Prozent Kalk und 70 Prozent aufbereitetem Bauschutt gewonnen wird, sich jeweils nach Dichte, Härte und Farbigkeit unterscheidet und vielseitig im Innen- und Außenbereich einsetzbar ist. Auf Platz 3 wählte das Gremium „Pretty Plastic“: Auf einer Unterkonstruktion befestigt, sehen diese Schindeln althergebrachten Schieferplatten auf Häuserwänden zum Verwechseln ähnlich, obwohl sie aus recyceltem PVC von ausrangierten Bauabfällen wie Fensterrahmen, Fallrohren oder Regenrinnen bestehen.
Kunststoff revisited
Zu den nicht weniger spektakulären Objekten zählt beispielsweise die UNclean Plastics-Zahnbürste aus FFP2-Masken, deren Polypropylen-Material zu einer Art Kunststofffaden verdichtet und mithilfe eines 3-D-Druckers in die gewünschte Form extrudiert wird. Für die Sitzfläche des „knitted-lounger“ verwendeten seine Designerinnen den Kunststoff recycelter PET-Flaschen, der handgestrickt in traditioneller Weise zu einem Tauwerk wurde und jetzt als Bespannung eines vielseitigen Sitzmöbels dient.
UDO und Regenschirm-Lampe
Dem gleichen oder ähnlichen Zweck dient auch „UDO – ein undefiniertes Objekt“, hergestellt aus beschichteten Holzplatten alter Schränke und Regale, deren farbige Oberflächen als solche erhalten blieben und ein farbenfrohes Tisch- und Sitz-Ensemble bilden. „eco-softfibre“ ist ein umweltfreundlicher Weichschaumstoff aus natürlichen Lederresten, der als Wandbelag mit besonderer Schallschutzfunktion oder auch als Möbelpolster dient. Die „regrowth“-Kombination besteht aus ungenutztem Rest- und Altholz für eine Tischplatte auf Füßen aus Ästen und einem Hocker aus aufbereitetem Sägemehl, der unzweifelhaft einem 3-D-Drucker entstammt. In jedem Fall als originell präsentiert sich auch die „Umbrella-Lamp“, gefertigt mit Metall und Nylon von Regenschirmen, die im öffentlichen Londoner Raum gefunden wurden.
Zu Seilen und Seife
Auch aus dem Lebensmittelbereich zeigt die Ausstellung Innovatives. Hierher gehört unter anderem das in Mexico entwickelte „Sustrato“, ein aus den Fasern und faserigen Resten von Ananasblättern gewonnenes Material. Das Projekt entwickelte daraus jeweils Wertstoffe wie Seile, Filze, Biokunststoffe sowie Agglomerate zur Dämmung oder Verpackung. Ein Team aus der Freien Universität Bozen und aus Berlin steuerte zur Ausstellung mit „Mezo“ eine Seife bei, die aus dem gebrauchten Sonnenblumen-Frittieröl eines italienischen Imbisses unter Zusetzung von Natronlauge produziert wurde. Aus einer Kölner Brauerei stammt ein Treber – hier als Reststoff aus Gerste –, den Theresa Tropschuh von der TH Köln zukünftig als recycelbares Material in der Weiterverarbeitung zu Fahrradhelmen, Betten, Lampen oder Tierfutter sehen möchte. In den Bereich Lebensmitteleinsatz gehört auch das anfangs erwähnte zermatschte Gemüse in der Glasröhre: Der sogenannte „1-Stroke Sugar Motor“ schließlich, dessen Struktur bewusst einem Heizpilz ähnelt, in einer senkrechten Glasröhre unter Zugabe von Zucker Gemüsereste kompostiert und unter anderem als Wärmequelle dienen könnte.
Textiles aus Birkenrinde, Zellulose oder Zelten
Gebrauchte Textilien lieferten die Ideen für weitere Projekte. So drehten die deutsch-niederländischen Initiatoren von „Liberty“ Sport- und Funktions-Shirts auf links, vernähten sie und polsterten sie mit Füllstoff aus. Die Designer des „Bark Project“ untersuchten die Vorteile von Baumrinde gegenüber Leder oder Textilien: Insbesondere Kiefernrinde, die auf traditionelle Art konserviert und flexibilisiert wird, stellte sich als atmungsaktiv und kompostierbar heraus.
„Sonnet155“ präsentierte Taschen aus Pektin und Zellulosefasern – Abfälle aus der industriellen Saft- und Textilfertigung, deren Kompositmaterial laut den Designern nach Nutzung wieder verflüssigt und neu verarbeitet werden kann. Und dass Textilien sogar als vielseitig einsetzbares Outdoor-Möbelstück dienen können, verdeutlichte das „Tentix“-Projekt: Hier wurden Stoffplanen von zurückgelassenen Zelten eines belgischen Rockfestivals mit geschredderten Kunststoffbechern gefüllt und laden zum Sitzen ein.
Erwähnenswert: TrashBoom
Besondere Erwähnung verdient „TrashBoom“, eine schwimmende Barriere hauptsächlich aus verbundenen PVC-Rohren, die mit leeren PET-Flaschen gefüllt werden. Die Sperre soll verhindern, dass Plastikmüll von Flüssen weiter in die Meere getragen wird. Prinzip und Bauplan sind „open source“, werden laut Angaben bereits in Indien, Indonesien und Brasilien eingesetzt und sollen schon Arbeitsplätze in Vollzeit ermöglicht haben. Der Erfinder dieses Systems, der Wuppertaler Moritz Schulz, ist Mitbegründer der Umweltorganisation Plastic Fischer.
Zunehmend im Bewusstsein
Dass Recycling mittlerweile auch bei Kindern ins Bewusstsein gekommen ist, verdeutlichen die Ergebnisse des diesjährigen RecyclingDesignpreises für Schulen. Den 1. Preis erhielten Schüler der 10. Klasse einer Gesamtschule in Oelde für ihren „Reise-Teddy“ – ausgeschnitten aus ungenutzten Landkarten, zusammengenäht, mit Watte gefüllt und mit einem Stein beschwert, um als Reisebegleiter zu fungieren. Platz 2 belegte eine Arbeit aus sozialen Einrichtungen in Bielefeld, in denen man Tetra Pak-Material nutzte. Dazu wurden die Kartons eingeweicht, die bedruckte Schicht entfernt und die – vordem innere – wasserundurchlässige Schicht zur Außenseite eines Rucksacks (Hosenträger und Taschenschnallen lieferten die Trageriemen und Verschlüsse). Zu den drei prämierten Projekten gehörten schließlich ein schwarz-weißer Einkaufsbeutel samt gleichgemustertem Geldbeutel, die Schülerinnen einer Paderborner Gesamtschule entworfen und gefertigt hatten.
Somit trifft zu, was die Veranstalter des Designpreises zu zeigen beabsichtigen: „Zu sehen sind fantasievolle wie auch funktionale Upcycling-Produkte und Projekte aus den Bereichen Materialforschung, Kreislaufwirtschaft oder Social Design – als überzeugendste Entwürfe von einer Fachjury aus mehreren hundert Einreichungen aus der ganzen Welt ausgewählt.“
Weitere Informationen unter: https://www.recyclingboerse.org/projekte/kunst-und-kultur/recycling-designpreis/designer-innen-2022
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 09/2022, Seite 40, Fotos: Dr. Jürgen Kroll)