„Es gibt nichts, was gegen mehr Kreislaufwirtschaft spricht“

Forderungen für eine starke und resiliente Kreislaufwirtschaft zur Bundestagswahl 2025: Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am 4. Dezember 2024 in Berlin haben die Verbände BDE, bvse und VBS zehn zentrale Punkte für die ersten 100 Tage der künftigen Bundesregierung vorgestellt.

Nach Meinung der Verbände schafft eine gelebte Kreislaufwirtschaft erhebliche Wettbewerbs- und Standortvorteile für die produzierende Industrie in einem Primärrohstoff-armen Land. Angesichts der multiplen Krisen und der komplexen globalen geopolitischen Lage sei es essenziell, die deutsche Volkswirtschaft resilienter zu gestalten. Die Diversifizierung der Rohstoffversorgung und eine nachhaltige Nutzung von Rohstoffen – anstatt sie zu verbrauchen – seien hierfür unabdingbar. Die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union stehe und falle auch mit einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft. Dabei unterstütze die durch den Green Deal angestoßene und vom Clean Industrial Deal fortgeschriebene Rohstoffwende nicht zuletzt den laufenden Umbau des Industriestandorts Deutschland.

Vertiefen und beschleunigen
Der Übergang zu einer konsequenten Kreislaufwirtschaft in Deutschland müsse weiter vertieft und beschleunigt werden. Die Recycling-, Sekundärrohstoff- und Entsorgungswirtschaft spielten dabei eine Schlüsselrolle: „Sie liefern umwelt- und klimafreundliche Sekundär- und Recyclingrohstoffe, die für die Transformation unserer Wirtschaft unverzichtbar sind. Eine stabile Entwicklung von Sekundärrohstoff- und Rezyklatmärkten bildet die Grundlage für langfristige Investitionen. Nur durch die Stärkung dieser Märkte können die in der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie bis 2030 festgelegten Ziele erreicht werden.“ BDE, bvse und VBS fordern, dass die künftige Bundesregierung in den ersten hundert Tagen diese zehn Punkte in Angriff nimmt:

1. Recyclingfähigkeit – Design for Recycling: Der erste wesentliche Meilenstein für erfolgreiches Recycling in Bezug auf Materialqualität und Sammelmengen wird beim Produktdesign gesetzt. Eine wirtschaftliche Besserstellung für recyclingfähige Produkte muss sicherstellen, dass Hersteller bereits vor dem Inverkehrbringen die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte im Blick haben, um die enthaltenen Wertstoffe nach der ersten Gebrauchsphase effektiv in den Recyclingkreislauf zurückführen zu können.

2. Level-Playing-Field für Kunststoff-Rezyklate: Zur Erreichung der Kreislaufwirtschaftsziele muss eine Mindestrezyklat-Einsatzquote im Kunststoffbereich eingeführt werden. Ein Level-Playing-Field ist erforderlich, in dem der CO2-Fußabdruck von Kunststoffneuware mit einem Preiszuschlag für Neuware berücksichtigt wird. Dies verhindert, dass Rezyklate in einem preissensiblen Marktumfeld benachteiligt werden. Der anerkannte grundsätzliche Vorrang des mechanischen Recyclings gegenüber dem chemischen Recycling ist auch gesetzlich festzuschreiben. Gleichwohl kann letzteres das mechanische Recycling sinnvoll ergänzen.

3. Internationalen und freien Handel erleichtern: Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz kennen keine Ländergrenzen. Sammelstrukturen sowie Aufbereitungs-, Recycling- und Verwertungsanlagen benötigen internationale Märkte. Deutschland und Europa allein können keine ausreichende Nachfrage für alle anfallenden Sekundärrohstoffe generieren. Daher ist es sinnvoll, überschüssige Mengen wie zum Beispiel Metallschrott internationalen Verbrauchern zur Verfügung zu stellen, um weltweit CO2-arme Produktionsprozesse im Rahmen der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Unabdingbare Voraussetzung dafür sind auch klare und praxisnahe Regeln beim Übergang vom Abfall- zum Produktrecht. Insbesondere sind Regelungen für die Materialien Altpapier, Altkunststoffe und Ersatzbaustoffe notwendig. Diese Abfälle müssen nach anerkannten Behandlungsverfahren sicher aus dem Abfallregime entlassen und als Produkte vermarktet werden können. Alle gütegesicherten Sekundärbaustoffe sämtlicher Materialklassen müssen aus dem Abfallstatus entlassen werden, um sie für neue Baustoffe nutzbar zu machen.

4. Nachhaltige ökologische Beschaffung mit Recyclinglabel: Die öffentliche Hand kann mit ihrem Investitionsvolumen von rund 500 Milliarden Euro einen bedeutenden Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leisten. Ein staatliches Recyclinglabel, das den Rezyklateinsatz und die Recyclingfähigkeit von Produkten transparent macht, würde die ökologische Beschaffung erleichtern und den Bürokratieaufwand reduzieren.

5. Batteriebrände verhindern – Recyclinginfrastruktur schützen: Um Brände durch Lithium-Ionen-Batterien in Müllfahrzeugen und Entsorgungsanlagen zu verhindern, ist ein Batteriepfand beziehungsweise ein Pfand auf batteriebetriebene Elektro(nik)geräte erforderlich. Ein Batteriefonds könnte die erweiterte Herstellerverantwortung (EPR) umsetzen, indem Produzenten an den Kosten für Brandschutz und Versicherungen beteiligt werden. Um Lithium-Ionen-Akkus vor dem Recyclingprozess herausfiltern zu können, ist eine technische Kennzeichnungspflicht für Batterien, etwa mittels RFID-Technologie, erforderlich. Zusätzlich sollten Inverkehrbringungsverbote für bestimmte Einwegprodukte mit Batterien wie Einweg-E-Zigaretten eingeführt werden.

6. Wertstoffanteile in Abwässern und Klärschlämmen nutzen: Der Bund muss die Bundesländer und Kommunen bei der Umsetzung der Klärschlammverordnung unterstützen. Es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Ausbau der Phosphor-Recyclinginfrastruktur fördern. Eine Fristverlängerung für Ausnahmen bei der Phosphor-Rückgewinnung darf es nicht geben; eine langfristige Deponierung von Klärschlamm­aschen ist zu verhindern.

7. Gleiche Rahmenbedingungen und fairer Wettbewerb für kommunale und private Dienstleister: Ein fairer Wettbewerb erfordert gleiche Regeln für alle Marktteilnehmer. Umsatzsteuerliche und körperschaftsteuerliche Privilegien für kommunale Entsorgungsdienstleister sind abzuschaffen. Die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften muss durch eine unabhängige Kontrolle sichergestellt werden.

8. Bürokratie abbauen, Planung beschleunigen, Digitalisierung nutzen: Planungsrechtliche Vorgaben müssen als Leitplanken fungieren und dürfen nicht als Bremsklötze wirken. Einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren sind wesentlich, um Innovationen zu fördern, die für die Implementierung der Kreislaufwirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen entscheidend sind. Die digitale Verwaltung ist rasch umzusetzen und der „One-Stop-Shop“-Ansatz sollte konsequent verfolgt werden. Abfalltransporte müssen dabei – ebenso wie Primärrohstofftransporte – als Teil einer modernen Kreislaufwirtschaft betrachtet werden, sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene.

9. Aktive Gestaltung des europäischen Rechtsrahmens: Deutschland muss seine Expertise nutzen, um einen einheitlichen EU-Rechtsrahmen der Kreislaufwirtschaft aktiv zu gestalten. Nationale Alleingänge und zusätzliche Verschärfungen europarechtlicher Vorgaben sind zu vermeiden. Statt eines bloßen „German Vote“ sollten „German Impulses“ den Fortschritt der Kreislaufwirtschaft vorantreiben. Die erweiterte Herstellerverantwortung ist zu stärken und EU-Recyclingmärkte sind vor unlauterem Wettbewerb zu schützen. Zudem ist zur Schonung natürlicher Ressourcen und zur Verhinderung der Entstehung von klimaschädlichem Methan, zur Gewinnung von Recyclingrohstoffen und zur Nutzung des Energiegehalts ein europaweites Verbot der Deponierung verwertbarer Siedlungsabfälle notwendig.

10. Kreislaufwirtschaftspolitik sichtbar in einem Bundesressort (Bundeswirtschaftsministerium) verankern: Die strategische Bedeutung der Kreislaufwirtschaft muss auf nationaler Ebene anerkannt werden. Sie sollte im Bundeswirtschaftsministerium verankert werden, wo die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie und die Rohstoffstrategie zusammengeführt und finanziell unterstützt werden.

Zu wenig von der Ampel
Von der künftigen Bundesregierung erwarten BDE, bvse und VBS konkrete Schritte und klare Rahmenbedingungen für zirkuläres Wirtschaften. „Es gibt nichts, was gegen mehr Kreislaufwirtschaft spricht“, erklärte Anja Siegesmund, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft, in der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung und dem Verband der Bayerischen Entsorgungsunternehmen. „Wer den Wohlstand und Industriestandort Deutschland sichern will, kommt an einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft nicht vorbei.“

Siegesmund zeigte sich enttäuscht von der Ampel, die im Koaltionsvertrag „vollmundige Ankündigungen“ machte und sich viel vornahm in Sachen Kreislaufwirtschaft, aber dann zu wenig Taten folgen ließ, die noch dazu auf breite Zustimmung stießen. Die nach dem Ampel-Aus von der Minderheitsregierung (SPD und Grüne) beschlossene Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS) bildet für sie maximal einen Rahmen. Ordnungspolitisch sei daraus nichts abzuleiten. Die Öffentliche Hand sollte sich nicht nur zur Kreislaufwirtschaft bekennen, sondern die Bedingungen dafür ändern. „Wenn es die Wirtschaft heißt, muss es auch die Kreislaufwirtschaft heißen“, schloss BDE-Präsidentin Anja Siegesmund ihre Ausführungen.

Rückendeckung auf allen Ebenen
Henry Forster, Präsident des bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, ging in seinem Statement auf die fortlaufend wachsende Last an Regulierungen ein, die es der Branche erschwere, neue Standorte und Geschäftsfelder zu erschließen. „Wir brauchen endlich eine Politik, die den Unternehmen wieder Luft zum Atmen lässt“, appellierte Forster. Erforderlich seien schnellere und unkompliziertere Genehmigungsverfahren sowie eine starke politische und gesellschaftliche Rückendeckung auf allen Ebenen – von Berlin bis in die Kommunen: „Andernfalls riskieren wir nicht nur das Wohlstandsniveau, sondern auch den Verlust der Innovationskraft, die für eine zukunftsfähige Kreislaufwirtschaft unerlässlich ist. Deutschlands Umwelttechnologie ist einer der modernsten und hoffnungsvollsten Wirtschaftszweige. Dies setzen wir aufs Spiel.“

Den regulatorischen Erfüllungsaufwand der Entsorgungs- und Recyclingbranche verdeutlichte Forster am Beispiel Schiffsdemontage: „Beim Schiffsstahl muss die Farbe runtergestrahlt werden, bevor dieser ins Stahlwerk kann.“ Der bvse-Präsident glaubt, dass in den nächsten zehn, zwanzig Jahren in Deutschland keine Schiffe recycelt werden, „weil die Auflagen so hoch sind“. Die Schiffe würden weiter nach Asien verbracht und dort unter abenteuerlichen Bedingungen zerlegt, die zudem die Umwelt verschmutzen. Beim Thema „Design for Recycling“ angelangt, kritisierte Forster, „dass wir es nicht schaffen, Produkte in den Markt zu bekommen, die wir in die Kreisläufe zurückführen. Es gibt immer mehr Produkte, die nicht recycelt werden können. Wenn ich an Windkraftanlagen denke: Wir sind immer noch nicht in der Lage, CFK-Rotorflügel zu recyceln. Wir können die Flügel möglichst klein schreddern, um sie dann in die Müllverbrennung zu geben.“

Forster hinterfragte des Weiteren, „ob es richtig ist, dass sich die Recyclingkunststoffe immer über einen Markt gegen Virgin-Material durchsetzen müssen. Wenn ölbasierte Kunststoffe billig sind, hört die Recyclingindustrie auf zu produzieren oder muss aufhören zu produzieren – weil sie keine Absatzmärkte mehr hat, weil wir keine CO2-Bepreisung im Bereich Virgin-Material haben.“ Der bvse-Präsident warnte zugleich vor Beschränkungen des freien Warenverkehrs in der Welt und der Abkopplung von internationalen Märkten: „Da müssen wir aufpassen. Wenn wir zum Beispiel kein Altpapier exportieren, dann machen wir uns abhängig von der heimischen Papierindustrie. Das sorgt dafür, dass der Preis durch die heimische Papierindustrie nach unten gezogen wird. Die Beschaffungserlöse sinken. Wenn ich für Altpapier kein Geld bekomme, dann kann es sein, dass der Bürger und Gewerbetreibende Altpapier nicht mehr getrennt sammelt und der Wertstoff in die Hausmülltonne gelangt.“

Den Turbo zünden
Stefan Böhme, Präsident des Verbandes der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS), verwies in der Pressekonferenz auf die Investitionsbereitschaft der Branche. Mit ihren Anlagen und innovativen Verfahren leisteten die Unternehmen einen „Riesenbeitrag zum Klimaschutz und zur Versorgung mit Energie und Rohstoffen aus Abfällen“. Aber dafür bräuchten sie auch die richtigen Rahmenbedingungen: „Wir müssen Bürokratie abbauen. Diese lähmt uns und wirkt als Bremsklotz für Investionen. Wir brauchen einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren für Anlagen, die wir bauen wollen. Wir müssen Innovationen fördern, mehr Freiraum für wirtschaftliche Entfaltung schaffen und den Turbo bei der Digitalisierung zünden“, listete Böhme die Handlungsfelder auf. Dabei gehe es darum, für alle Marktteilnehmer (kommunale wie private Dienstleister) gleiche und faire Rahmenbedingungen im Wettbewerb zu bekommen. Die umsatz- und körperschaftssteuerlichen Privilegien für Kommunalunternehmen müssten in dem Bereich, wo sie in Konkurrenz zur Privatwirtschaft wie jedes Unternehmen selbstverständlich steuerpflichtig sind, abgeschafft werden.

Böhme: „Die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften muss durch unabhängige Kontrollen stattfinden. Das ist bisher nicht der Fall. Wenn es um kommunale Tätigkeiten in diesem Markt geht, ist das Bundeskartellamt nicht zuständig. Und der kommunale Marktteilnehmer, also der Staat, ist einer der größten Marktteilnehmer. Es geht nicht nur um den Wettbewerb im Markt, sondern auch um den Markt. Das heißt, wenn Dienstleistungen überhaupt nicht mehr ausgeschrieben werden und dem Markt zugänglich sind, sondern inhäusig vergeben werden, hat der Gebührenzahler das Nachsehen, weil sich die Preise nicht über den Markt und den Wettbewerb bilden.“ Bezüglich des Problems Batteriebrände in Recyclingbetrieben widersprach Böhme abschließend der Behauptung der Bundesregierung, dass es dazu keine belastbaren Zahlen gebe. „Fragen Sie mal die Versicherungswirtschaft“, empfahl der VBS-Präsident.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2025, Seite 6, Foto: studio v-zwoelf / stock.adobe.com (Generiert mit KI))