In der Zwickmühle: Recycling zwischen Abfall- und Chemikalienrecht

Existierende Stoffverbote und -beschränkungen sollten nicht 1:1 auf die Abfallwirtschaft übertragen werden. Der risikobasierte Ansatz müsse bei der Produktion und beim Inverkehrbringen beginnen.

Die Europäische Kommission veröffentlichte Anfang 2018 eine Mitteilung zur Frage, wie mit den Schnittstellen von Abfall- und Chemikalienrecht umgegangen werden kann. Für die Abfallwirtschaft – insbesondere Recyclingunternehmen – ergeben sich daraus Probleme bei der Wiederverwendung und Verwertung, weil gefährliche beziehungsweise „besorgniserregende Stoffe“ in Abfällen vorkommen, die rechtlichen Auflagen unterliegen – durch REACH oder Produktregelungen wie der Verpackungsverordnung, dem Elektro- und Elektronikschrott-Rücknahmegesetz und dem Batteriegesetz. Die Fachtoxikologin Dr. Beate Kummer hat die juristische Gemengelage untersucht; ihre Expertise ist im Folgenden kurz zusammengefasst:

Was tun mit „Altlasten“?

Einer der begrenzenden Faktoren beim Recycling ist das Vorhandensein von gefährlichen Stoffen, die nicht in der Neuware vorkommen dürfen: Sie sind rechtlich beschränkt, eventuell ab einem bestimmten Datum zulassungspflichtig und deklarationspflichtig ab 0,1 Massenprozent. Unzählige Additive und Ausgangsstoffe werden die REACH-Kandidatenliste in den nächsten Jahren auf 2.000 Stoffe erweitern. Über chemische Stoffe für komplexe Endprodukte sollten innerhalb der Lieferkette Informationen zur sicheren Handhabung weitergegeben werden. Im Kunststoffbereich beispielsweise erfolgt das Recycling sauberer und sortenreiner Produktionsabfälle für Neuprodukte meist mit gängigen Verfahren. Bei vermischten oder verschmutzten Ausgangsmaterialien werden an Rezyklate zur Herstellung neuer Produkte aber strenge Anforderungen gestellt; zu beachten sind REACH, POP-Verordnung, Verpackungsgesetz sowie das Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände-Gesetz, in Deutschland zusätzlich Elektrostoffstoffverordnung, Altfahrzeugverordnung oder Spielzeugrichtlinie.

Ein EU-weit verbindliches Informationssystem über die materielle Zusammensetzung wäre in diesem Zusammenhang konsequent, aber praktisch nicht umsetzbar. Dafür müssten ausreichend Informationen über die potenziell vorkommenden besorgniserregenden Stoffe während der gesamten Lieferkette bestehen und die Weitergabe von Produktinformationen nötig machen. Und letztlich müssten in den Aufbereitungs- und Sortieranlagen auch Monofraktionen behandelt werden. Ohne diese Konditionen wäre die stoffliche Verwertung solcher Materialen in den Aufbereitungs- und Sortieranlagen voraussichtlich nicht mehr wirtschaftlich darstellbar. Fakt ist demnach, dass die Recyclingwirtschaft für eine hochwertige Verwertung mehr Informationen über das Vorhandensein besorgniserregender Stoffe bräuchte. Die notwendige Datengrundlage in Form eines verbindlichen Informationssystems für die wesentlichen Produktströme müsste seitens der Produzenten im Sinne der Produktverantwortung geschaffen werden. Die Substitutionsquote – der Ersatz von Neuware durch Sekundärware – liegt in Deutschland momentan bei 13 Prozent. Weitere mineralische Abfallmengen im Bausektor oder industrielle Nebenprodukte als Ersatzbaustoffe stehen für das Recycling nicht zur Verfügung. Hinzu treten im Hoch- wie Tiefbau Schadstoffbelastungen und Qualitätsprobleme durch Verschmutzungen auf, sodass Sekundärware den Anforderungen an Neuware nicht entspricht. Selbst güteüberwachte Recyclingbaustoffe gelten als Abfall und treffen bei öffentlichen Auftraggebern auf wenig Akzeptanz; Recyclingbaustoffe decken heute den Bedarf an Gesteinskörnungen für die Bauwirtschaft nur zu zwölf Prozent.

Die daran anschließende Frage, inwieweit Rezyklate Stoffe enthalten dürfen, die bei Primärrohstoffen beschränkt sind, lässt sich nicht pauschal, sondern nur über die Einstufung des Risikopotenzials für Mensch und Umwelt beantworten. Beschränkte Stoffe wie Asbest spielen zwar in der Entsorgung noch eine Rolle, lassen sich aber auch durch mögliches Identifizieren getrennt halten sowie sicher entsorgen beziehungsweise beseitigen. Eine Verwendung über die Abfallphase hinaus kann sogar aus wirtschaftlichen Gründen notwendig erscheinen, was ein Ausschleusen aus dem Wirtschaftskreislauf erschwert, oder weil kaum Ersatzstoffe vorliegen. So wird beispielsweise HBCD als „besonders besorgniserregender Stoff“ eingestuft und eine stoffliche Verwertung dadurch noch über Jahre hinweg unmöglich gemacht. HBCD lässt sich als Abfall aber getrennt halten und nachweispflichtig sowie sicher entsorgen. Existierende Stoffverbote und -beschränkungen dürfen daher nicht 1:1 auf die Abfallwirtschaft übertragen werden. Alle Stoffe, die heute bereits verboten beziehungsweise beschränkt sind, werden ohnehin in absehbarer Zeit in der stofflichen Verwertung keine Rolle mehr spielen. Der risikobasierte Ansatz muss also bei der Produktion und beim Inverkehrbringen beginnen und darf nicht auf die Entsorgungswirtschaft übertragen werden.

Das Ende der Abfalleigenschaft

Das Abfallende-Verfahren – 2008 mit der neuen Abfallrahmenrichtlinie eingeführt – ist ein besonderes Anliegen der Stahl- und Metallrecyclingwirtschaft. Um praxisrelevante Qualitätskriterien des jeweiligen Sekundärrohstoffs zu beschreiben, bedienen sich die Recycler der Schrottsortenliste, die grob zwischen Stahlschrott, Altmetallschrott und Elektroschrott und deren Unterkategorien unterscheidet. Während Mischschrott frei von gefährlichen Stoffen und Altmetallschrott möglichst frei von Verunreinigungen sein sollte, enthält Elektroschrott oft Schwermetalle und andere Schadstoffe und muss deshalb gesondert verarbeitet werden. Schrottsortenliste und Abfallende-Verordnung liefern dem Schrotthandel eine verlässliche Grundlage für die Praxis, wobei letztere zusätzlich Fremdstoffgehalte definiert, die zum Erreichen des Produktstatus` eingehalten werden müssen.

Der Fremdstoffanteil für Eisen- und Stahlschrott liegt bei maximal zwei Prozent, für Aluminiumschrott maximal bei fünf Prozent. Wird – zumal bei internationalem Handel – dieser vorgegebene Fremdstoffanteil überschritten, gilt die Lieferung als illegale Abfallverbringung. Um hierfür eine Regelung zu finden, war die Abfallende-Verordnung im Jahr 2011 als EU-einheitliche Lösung für Schrotte dringend geboten. Bei anderen Abfallarten sind EU-weit harmonisierte Kriterien für das Abfallendeverfahren jedoch nur sinnvoll, wenn international im großen Stil gehandelt wird und wenn für sie einheitliche Gütekriterien vorliegen. Variiert die materielle Zusammensetzung zu stark, weil es sich beispielsweise um Post-Consumer-Abfälle handelt, machen einheitliche Kriterien wenig Sinn.

AVV, CLP und TRGS 201

Seit dem 1. Juni 2015 greift die Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP). Die CLP-Verordnung ersetzt die bisherige Richtlinie für Gefahrstoffe und Zubereitungen. Unter der CLP-Verordnung gelten Abfälle nicht als Stoff, Gemisch oder Erzeugnis, während Betreiber von Abfallbehandlungsanlagen keine nachgeschalteten Anwender sind. Rückstände aus Abfallentsorgungsanlagen als Abfälle, die zum Beispiel über Verwertung oder Deponierung entsorgt werden, liegen somit nicht im CLP-Anwendungsbereich. Hingegen fallen Stoffe oder Gemische darunter. Gefährliche Abfälle wiederum werden nach den Kriterien der Abfallverzeichnisverordnung (AVV) eingestuft und gekennzeichnet. Die neue AVV, die kürzlich an die neue CLP-Verordnung angepasst wurde, enthält jedoch einige Regelungen, die nicht harmonisiert sind. Die Einstufung von Abfällen als gefährlich (oder nicht-gefährlich) erfolgt je nach zuordenbaren Gefahrenhinweis-Codes (H-Codes) und der Konzentration solcher Stoffe im Abfall. In Deutschland werden zahlreiche gefahrstoffrechtliche Regelungen zur Einstufung und zum Umgang mit Gefahrstoffen über Technische Regeln konkretisiert, speziell der TRGS 201 zur Einstufung und Kennzeichnung bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen.

Sollte die Einstufung gemäß CLP noch weiter an die Einstufung von Abfällen gemäß Abfallrecht angeglichen werden? Die Einstufung der Abfälle gemäß Abfallrecht unterliegt dem Abfallerzeuger, denn nur dieser hat die vollständigen Informationen zum sicheren Umgang sowie zur Zusammensetzung vorliegen. Bei Produktionsabfällen ist die Zusammensetzung meist einfach zu bestimmen, im Gegensatz zu Post-Consumer-Abfällen, bei denen sich die Komponenten meistens nur durch aufwändige Analysen erfassen lassen. Deshalb kann die Frage der Harmonisierung der CLP-Kriterien mit abfallrechtlichen Einstufungskriterien nur am Stoff-, Gemisch- und Erzeugnisbegriff fest gemacht werden. Handelt es sich in der Abfallphase um komplexe Produkte und Erzeugnisse, ist eine Einstufung gemäß CLP nicht notwendig und möglich. Handelt es sich jedoch um Stoffe oder Gemische, wäre eine CLP-Einstufung durchaus möglich und logisch konsequent.

Anders ausgedrückt: Abfälle sollten immer dann wie Gefahrstoffe gemäß der CLP-Verordnung eingestuft und gekennzeichnet werden, wenn sie als „Stoff“ oder „Gemisch“ im Sinne des Stoffrechts anzusehen sind. Im Sinne einer Harmonisierung wäre dies möglich, würde allerdings eine erneute Änderung des Abfallrechts explizit des Europäischen Abfallkatalogs notwendig machen.

Foto: EU-R Archiv

(EU-Recycling 06/2018, Seite 8-Meinung)

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