Das Lieferkettensorgfaltpflichtengesetz: Großer Name, kleiner Wirkungsgrad

Menschenrechte schützen und die Umwelt entlasten: Mit dieser Zielvorstellung soll das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz die Qualität von Rohstoffen verbessern. Inwieweit wird diese Verordnung der Kreislaufwirtschaft Vorschub leisten?

„Kreislaufwirtschaft über die gesamte Wertschöpfungskette gedacht“: Mit dieser anspruchsvollen Überschrift fasste das Austrian Institute of Technology (AIT) die Ergebnisse seines Projekts „Klimur – Klimaresilientes urbanes Ressourcenmanagement“ zusammen. Dabei sollten binnen eines Jahres am Fallbeispiel Zukunftshof Rothneusiedl die Möglichkeiten ausgelotet werden, wie sich aus einem alten Bauernhof ein Vorzeigeprojekt für innovative urbane Landwirtschaft und klimaresiliente Kreislaufwirtschaft machen lässt. In diesem Zusammenhang stand auch die Verringerung des Materialverbrauchs durch Rückführung in den Produktionskreislauf auf der Agenda, für die es „einer integrierten Betrachtung über den gesamten Lebenszyklus“ bedarf. Konkret wurden dazu Bauprojekte mit Hilfe eines digitalen, materiellen Gebäudepasses auf ihre Kreislauffähigkeit bewertet.

Am 1. Januar 2023 in Kraft getreten
Nun stellt die Materialuntersuchung eines alten Bauernhofes hinsichtlich Herkunft aufgrund der traditionellen Beschaffung seiner Baustoffe keine besondere Herausforderung dar. Auch dann nicht, wenn solche Materialien kryogen versprödet, feinstvermahlen und sortenrein voneinander getrennt werden. Unter welchen Produktionsbedingungen und Umweltbelastungen heutige Stoffe und somit Sekundärrohstoffe entstanden und entstehen, lässt sich mit dieser Methodik nicht herausfinden. Außerdem lässt sich nicht verhindern, dass weiterhin Produkte auf den Markt gelangen, die unter menschenrechtlich und/oder umweltbezogen bedenklichen Voraussetzungen erzeugt wurden. Hierbei soll das im Juli 2021 erlassene und am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – kurz: LkSG) Abhilfe schaffen.

Risiken vorbeugen, minimieren oder beenden
Das Gesetz verpflichtet einheimische Unternehmen, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten und entsprechenden Risiken vorzubeugen, sie zu minimieren oder zu beenden. Zum Katalog der Sorgfaltspflichten gehören vor allem die Einrichtung eines Risikomanagements, die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, die Verankerung von Präventionsmaßnahmen, das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen und – neben Dokumentation und Berichtspflicht – die „Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern“. Diese Auflagen beziehen sich unter anderem auf alle Arten von Kinderarbeit und Zwangsarbeit, aber auch auf umweltbezogene Risiken mit der Wahrscheinlichkeit, dass Verstöße vorliegen könnten durch die Herstellung von mit Quecksilber versetzten Produkten, die Verwendung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen bei Herstellungsprozessen, die Behandlung von Quecksilberabfällen, die Produktion und Verwendung von POPs, die „nicht umweltgerechte Handhabung, Sammlung, Lagerung und Entsorgung von Abfällen“ und schließlich die Ausfuhr gefährlicher und anderer Abfälle in bestimmte Länder. Zu den Risiken zählen auch die Herbeiführung einer schädlichen Bodenveränderung, Gewässerverunreinigung, Luftverunreinigung, schädliche Lärmemission oder ein übermäßiger Wasserverbrauch.

Nur 400 von über 3.000 interessiert
Das Thema ist nicht neu. Bereits im Dezember 2016 verabschiedete die Bundesregierung einen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte, der – auf freiwilliger Basis – auf eine bessere Anwendung international anerkannter Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards, -grundsätze und -verpflichtungen in globalen Lieferketten abzielte und 2019 durch eine erste Unternehmensbefragung überprüft wurde. Nur 400 von über 3.000 angeschriebenen Unternehmen füllten den Fragebogen aus. Die Auswertung ergab, dass nur 20 Prozent dieser 400 Unternehmen den Anforderungen des Aktionsplans entsprachen. An einer zweiten Unternehmensbefragung im Jahr 2020 beteiligten sich laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) 450 von 2.250 kontaktierten Unternehmen, und nur 17 Prozent von diesen kamen den Anforderungen nach.

Mehr Bürokratie, höhere Kosten
Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kritisiert am neuen Gesetz vor allem Rechtsunsicherheit: „Zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe machen das Risiko für Unternehmen durch das Lieferkettengesetz unkalkulierbar.“ Befürchtet werden eine Welle an Klagen, überbordende bürokratische Pflichten, die Aufgabe von Auslandsgeschäften und – mit Hinblick auf den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Kommission – ein juristischer Flickenteppich und noch mehr Bürokratie.

Obwohl bei den unterzeichnenden Firmen und Organisationen – darunter BDE, VDM, VDMA, WV Metalle und ZVEI – wirtschaftliche Freiheit und soziale Verantwortung Hand in Hand gingen, lege das geplante Gesetz den Handel an die Kette, begrenze unternehmerische Freiheit und führe zu keinen besseren Arbeits- und Lebensbedingungen. Für den VDMA bedeutet das Lieferkettengesetz explizit „mehr Bürokratie und höhere Kosten für Unternehmen, ohne das gewünschte Ziel zu erreichen. Korrekturen am Gesetz sind daher geboten.“ Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft hingegen hält das Lieferkettengesetz für einen Schritt in die richtige Richtung. Entgegen der von anderen Industrieverbänden vertretenen Ansicht würden deutsche Unternehmen bei Menschenrechtsverletzungen nicht haften, „sofern sie alle möglichen und angemessenen Maßnahmen ergriffen haben“. Das Lieferkettengesetz werde keine Erfolgspflicht, sondern nur eine Bemühungspflicht zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durchsetzen. Zudem schätze die Studie der EU-Kommission für große Unternehmen die Kosten auf durchschnittlich 0,005 Prozent ihrer Gewinne.

Angemessenes Bemühen gefordert
Fakt ist, dass sich die Sorgfaltspflichten eines Unternehmens auf den eigenen Geschäftsbereich sowie die direkten, unmittelbaren Zulieferer eines Unternehmens beziehen; letztere sind alle ausnahmslos zu überprüfen.

In einer Diskussionsrunde im SWR2 Forum am 27. Dezember 2022 versuchte Anosha Wahidi, BMZ-Beauftragte für Nachhaltigkeitsstandards, weitergehende Befürchtungen zu entkräften. Es gehe für den eigenen Geschäftsbereich sowie bei den unmittelbaren Zulieferern eines Unternehmens um ein „angemessenes Bemühen“, mehr Transparenz zu schaffen. Nur wenn einem Unternehmen mögliche Verstöße in der Lieferkette bekannt seien, habe es die Aufgabe, seiner Verantwortung nachzukommen und aktiv zu werden. Es herrsche eine „individuelle Sorgfaltspflicht“; aber ansonsten habe man „keine Guillotine zu erwarten“. Auch sei es keine Aufgabe hiesiger Unternehmen, die Menschenrechtslage im Ausland zu verbessern – dazu seien die Wirtschaftsbeauftragten der dortigen Botschaften und die Deutschen Auslandshandelskammern zuständig. Sondern es gelte, „die bestehenden Geschäftsbeziehungen in angemessener Weise zu bemühen, damit Standards eingehalten werden“.

Schwierige Nachweisketten
Dr. Achim Dercks, stellvertretener Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, konterte Wahidi mit der Frage, wann es für ein Unternehmen wirtschaftlich sinnvoll sei, einen Zulieferer im Falle eines Falles vielleicht zukünftig zu meiden. Diese Entscheidung würde nur dann Sinn machen, wenn der Lieferant keine Absatzalternative hat oder zu keiner Konkurrenz gehen kann.

Diese Frage stellt sich für etliche sogenannte Konfliktmineralien vermutlich nicht mehr. Denn am 1. Januar 2021 trat eine entsprechende EU-Verordnung in Kraft, die für EU-Importeure von Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erze und Gold (3TG) weitgehende Sorgfalts- beziehungsweise Prüfpflichten entlang der Lieferkette verbindlich macht. Sie soll die Finanzierung von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen in Konflikt- oder Hochrisikogebieten eindämmen, teilt ein Merkblatt von BDI, DIHK, VCI und WV Metalle mit. Hierzulande fungiert die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe als „Deutsche Kontrollstelle EU-Sorgfaltspflichten in Rohstofflieferketten“. Schwieriger ist die Nachweiskette bei Lebensmitteln, fast unmöglich beispielsweise bei Textilien. Nicht nur, dass diese acht unterschiedliche Stufen der Wertschöpfungskette durchlaufen, die mehr oder weniger auf Ausbeutung von Arbeitskraft und natürlichen Ressourcen beruhen. Sondern wie das online-Magazin Utopia in einem Artikel verdeutlichte, erfolgt die Herstellung – wie im Fall eines schlichten weißen Herrenoberhemds – unter der Beteiligung von „etwa 140 verschiedenen Produzenten und Unternehmen weltweit“.

Branchenstudie und Risikoanalyse
In diesem Zusammenhang ist die Branchenstudie zur Automobilindustrie erwähnenswert, die das Bundesumweltamt im Mai 2022 über „Umweltrisiken und -auswirkungen in globalen Lieferketten deutscher Unternehmen“ herausgab. Sie betrachtete die Fahrzeugkomponenten Traktionsbatterie, Karosserie und Reifen entlang ihrer Lieferkette von der Rohstoffgewinnung bis ihrer Fertigung vertieft und zeigte exemplarisch Verbindungen zwischen (potenziellen) negativen Umwelt- und menschenrechtlichen Auswirkungen auf.

Auf Grundlage dieser Analyseergebnisse der Studie wurden Ansatzpunkte und Maßnahmen zur Minderung von Umwelt­risiken und zur Umsetzung umweltbezogener Sorgfaltspflichten formuliert. Würden für alle Im- und Exportgüter derartige detaillierte Handreichungen existieren, könnte es den betreffenden Unternehmen in der Lieferkette wichtige Hinweise geben und Zeit sowie Arbeit sparen. In diese Richtung geht eine im Januar erschienene Studie des Umweltbundesamtes zur internationalen Ressourcenpolitik, die für 12 ausgewählte außereuropäische Länder den Stand der Circular Economy mit Hinweisen auf vorhandene Lieferketten, nachhaltige Produktions- und Konsumweise, ERP-Systeme, Industriesymbiosen und Ressourceneffizienz skizziert und für die dortigen Abfall- beziehungsweise Kreislaufwirtschaften das Vorhandensein von Abfallsammlungen, einer Recyclinginfrastuktur und einer Erforschung neuer Entwicklungswege dokumentiert.

Ein machtvolles Instrument
Wesentlich radikalere Änderungsvorschläge enthielt die Erklärung vom Mai 2022, unterschrieben von über 220 zivilgesellschaftlichen Organisationen aus Europa und weltweit. Sie fordern unter anderem, dass die Sorgfaltspflichten zur Verhinderung und Beendigung von Menschenrechts- und Umweltbeeinträchtigungen für die gesamte Wertschöpfungskette gelten müssen. Darüber hinaus habe das Gesetz eine umfassende umwelt- und klimabezogene Sorgfaltspflicht zu enthalten. Auch müsse das Gesetz eine wirksame zivilrechtliche Haftung vorschreiben und den betroffenen Menschen den Zugang zu Gerichten ermöglichen. Schließlich gelte es, in sämtliche Schritte der Sorgfaltsprüfung eines Unternehmens Betroffene miteinzubeziehen. Würden diese Punkte berücksichtigt, würde – so formulierte es das EU-Umweltbüro – „ein europäisches Lieferkettengesetz zu einem machtvollen Instrument werden, um Ungerechtigkeiten in den globalen Wirtschaftsbeziehungen auszugleichen“.

Großer Druck ausgeübt
Allerdings ist offenbar nicht allen an Lieferketten wirtschaftlich Beteiligten an einem „machtvollen“ Gesetz gelegen. So stimmte Deutschland zwar am 1. Dezember im EU-Ministerrat für den Ratsbeschluss zum EU-Lieferkettengesetz. Doch hätten klassische Industrie- und Wirtschaftslobbyverbänden „großen Druck“ ausgeübt und es sei zu „massiven Verzögerungen“ gekommen, meldete eine Pressemitteilung des Bundesverbandes Nachhaltige Wirtschaft (BNW). Außerdem habe man – der von Germanwatch e.V. veröffentlichten Webseite lieferkettengesetz.de zufolge – angekündigt, das finale Gesetz noch weiter schwächen zu wollen. Darüber hinaus fordere Deutschland „weitere Schlupflöcher für Unternehmen“.

Für BNW-Vorständin Dr. Antje von Dewitz hängt die Kraft des Gesetzes deshalb davon ab, wie im folgenden Aushandlungsprozess die genauen Formulierungen ausgestaltet werden: „Hier besteht angesichts des hohen Drucks von klassischen Industrie- und Wirtschaftslobbyverbänden das große Risiko, dass es aufgrund vermeintlich zu ‚hoher Belastung für die Unternehmen‘ zu Abschwächungen kommt.“

Schwache Sanktionen
Sollte das Gesetz – in welcher Schärfe auch immer – zur Wirkung kommen, stehen bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten nur schwache Sanktionsmechanismen zur Verfügung. Zwar können nach Paragraf 22 Unternehmen mit einer Vergabesperre bedacht werden. Doch ist – wie die Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Gaßner, Groth, Siederer & Coll. herausfand – das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) für die Feststellung von Verstößen und Festsetzung von Bußgeldern zuständig. Erst dann könnten öffentliche Auftraggeber betreffende Auskünfte beim Wettbewerbsregister einholen. Allein die Vergabesperre Paragraf 22 LkSG – so die Anwälte – werde die Umsetzung des Gesetzes deshalb voraussichtlich nicht verbessern.

LkSG der Diversifizierung?
Ohnehin ist fraglich, ob das Lieferkettengesetz der nationalökonomischen Weisheit letzter Schluss ist. Das ifo Institut sprach sich bereits im Juni 2021 gegen staatliche Eingriffe in Lieferketten und eine allgemeine Rückverlagerung von Produktion nach Deutschland aus. „Vielmehr sollten die Bezugsquellen der deutschen Wirtschaft international vielfältiger werden“, heißt es in einer Presseerklärung. Durch eine Rückverlagerung von Lieferketten seien enorme Einkommensverluste zu befürchten, weshalb der Staat sich „mit Eingriffen in die Gestaltung von Lieferketten grundsätzlich zurückhalten“ sollte. Stattdessen – so das Institut – würden strategische Freihandelsabkommen Chancen bieten, Handelskosten ebenso wie Abhängigkeiten von einzelnen Ländern zu verringern. Und auch der stellvertretene DIH-Geschäftsführer Dr. Achim Dercks plädierte für verstärkte Diversifizierung und verschiedene Lieferanten. Man dürfe sich nicht ins Schneckenhaus zurückziehen, sondern müsse danach trachten, den internationalen Austausch zu verbreitern. Je stärker mit anderen Ländern Handel getrieben werde, umso mehr gebe es Wettbewerb und somit mehr alternative Lieferanten für Unternehmen, die auf Menschenrechte in der Lieferkette achten. Allerdings musste Dercks einräumen, dass es Rohstoffe gibt, für die kaum Möglichkeiten zur Diversifizierung bestehen: „Dadurch wird Kreislaufwirtschaft interessanter.“

Zweifel sind angebracht
Bringt das Lieferkettengesetz also die Kreislaufwirtschaft voran? Zweifel sind angebracht, dass das selbst mit Rücksicht auf juristische Kinderkrankheiten, gesetzliche Schlupflöcher und den wirtschaftlichen Betroffenenkreis nicht der Fall ist. Zwar könnte sich der Anteil der auf Menschenrechte und Umweltschutz weniger Wert legenden Produzenten reduzieren. Aber der Wirkungskreis des Gesetzes endet beim unmittelbar nächsten Lieferanten und verliert damit den Vorlauf in der Lieferkette aus den Augen. Mit der Folge, dass der Produzent des Abfalls unbekannt ist und damit dessen Herkunft und Zusammensetzung ungewiss bleibt – mögliche Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltauflagen werden folglich nicht berücksichtigt geschweige denn abgestellt. Darüber hinaus sind im Katalog der Sorgfaltspflichten – neben zusätzlichen bürokratischen Hürden – keinerlei Verbotsverschärfungen hinsichtlich Umgang mit Abfällen vorgesehen, die nicht durch die EU-Gesetzgebung ohnehin schon eingeführt und abgedeckt wären. In dieser Form wird das Lieferkettengesetz wenig zur Durchsetzung einer Kreislaufwirtschaft, die ihren Namen verdient, beitragen können.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 02/2023, Seite 8, Abb.: sh99 / stock.adobe.com)