Wie „grüner“ Stahl die Schrottbranche verändert

Die Stahlindustrie strebt die Dekarbonisierung an. Ziel ist eine kohlenstofffreie Produktion. Welche Konsequenzen das für die Schrottrecyclingwirtschaft in Zukunft hat, erörterte die Ferrous Division während der BIR World Recycling Convention in Abu Dhabi.

Das Bureau of International Recycling feierte dort 75-jähriges Jubiläum. Mit Susie Burrage steht erstmals eine BIR-Präsidentin dem Weltverband vor. Gastredner der Fachspartensitzung der Ferrous Division am 23. Oktober waren Kedar Joshi (Davis Index) und Davide Braga (Danieli Centro Recycling). Denis Reuter (TSR Recycling) verabschiedete sich als Präsident der BIR Ferrous Division; ihm folgt Shane Mellor (Mellor Metals Ltd, UK) nach.

Kedar Joshi zitierte eingangs seines Vortrags zwei wichtige Äußerungen im letzten Vierteljahr, die ihm gezeigt hätten, dass Schrotthändler und Recyclingunternehmen endlich die gebührende Anerkennung erhielten: „Im Juli sagte das Weltwirtschaftsforum, dass bis 2050 rund 6,5 Milliarden Tonnen Materialien für die Energiewende benötigt werden, wobei Stahl, Kupfer und Aluminium etwa 95 Prozent davon ausmachen. Es hieß: Dies ist nicht möglich, ohne das Metallrecycling zu steigern. Im September kam McKinsey zu dem Schluss, dass der Metallsektor bei den Bemühungen zur Begrenzung des Klimawandels von entscheidender Bedeutung sein wird.“

Strategische Ressource
Solche Wahrnehmungen – argumentierte Joshi – bedeuteten: Intergrierte Schredderbetriebe in den Stahlwerken müssten die Schrottverwertung steigern, um der Nachfrage von Investoren und Kommunen nach niedrigeren CO2-Werten gerecht zu werden. Eine höhere Nachfrage nach Fertigprodukten mit unterschiedlichen Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungs- sowie CO2-Fußabdruckbewertungen würde die Schrottverwendung steigern. Leichtere Ersatzmaterialien wie Aluminium setzten Stahl unter Druck. Die zunehmende Verbreitung von Elektrofahrzeugen (EV) verändere die typische Rohstoffmischung für Schredderbetriebe.

Joshi sieht recycelten Stahl als „strategische Ressource“ an und warnte: „Der wachsende Protektionismus und die politische Notwendigkeit besserer inländischer Lieferketten führen zu einem Anstieg der regionalen Märkte. Dadurch verändern sich traditionelle Handelswege. Wir gehen davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzt.“ Dieser Protektionismus sei bereits offensichtlich, da mehr als 60 Länder Exporte verboten oder gerade eingeschränkt hätten, um inländische Produzenten zu unterstützen. Joshi: „Wir stehen am Anfang eines 30-jährigen Nachfrage-Superzyklus für recycelten Stahl. Wenn es keine größeren Störungen durch neue Materialien gibt, wird diese neue Nachfrageverschiebung noch Jahrzehnte länger anhalten.“ Der Experte verglich den Markt für recycelten Stahl mit der Industrie 4.0: „Für unsere Industrie bedeutet die Ära 4.0, dass wir bessere Technologien zur Identifizierung, Sortierung, Verarbeitung und zum Versand von Materialien einsetzen müssen.“

Davide Braga geht davon aus, dass die Nachfrage nach Stahl bis 2050 weiterhin langsam wachsen werde und die Werke bis dahin die CO2-Emissionen um 70 bis 90 Prozent senken wollen. Die Umstellung auf Elektrolichtbogenöfen (EAF) würde ihren Anteil an der Produktion bis 2050 verdoppeln und zu einer deutlichen Steigerung der Produktion von direkt reduziertem Eisen (DRI) führen. Mehr als 300 Millionen Tonnen zusätzlicher Schrott pro Jahr würden benötigt, um die zusätzliche EAF-Produktion beim Übergang zu „grünem“ Stahl zu speisen. Laut Braga könne der „Danieli Digimelter“, der Schrott oder DRI oder eine Mischung aus Schrott, DRI und heißem Metall als Rohstoffe verwendet, Elektrolichtbogenöfen schrittweise verbessern. Das System ermögliche eine optimale Schrottbeschickung. Energieverbrauch und der ökologische Fußabdruck würden reduziert.

Ein Weltmarkt
Bei der Präsentation der Aktualisierung der 14. Ausgabe von „World Steel Recycling in Figures“ des BIR führte Statistikberater Rolf Willeke aus, dass die weltweite Rohstahlproduktion im ersten Halbjahr 2023 insgesamt 943,9 Millionen Tonnen betrug, was einem Rückgang von 1,1 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum im Jahr 2022 entspricht: „Aus unseren eigenen Berechnungen und denen von worldsteel kommt man zu dem Schluss, dass jedes Jahr rund 630 Millionen Tonnen recycelter Stahl in der weltweiten Stahlproduktion verwendet werden, wodurch fast 950 Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden und gleichzeitig Energie gespart und natürliche Ressourcen geschont werden.“

Der Anteil an recyceltem Stahl in der Rohstahlproduktion betrug in China 21,7 Prozent, in der EU-27 60,3 Prozent und in den USA 54,7 Prozent. Besonders hervorzuheben sei – so Willeke – der hohe Wert von 87,2 Prozent für die Türkei. Seine letzte Grafik zeigte, dass sowohl die US- als auch die EU-Exportpreise einem weitgehend parallelen Verlauf folgten. Von Mai bis Juni 2023 stiegen die Preise für HMS 1 in den USA und 80/20 in der EU auf 369 US-Dollar beziehungsweise 378 US-Dollar pro Tonne. „Das ist ein großartiges Zeichen dafür, dass unser Markt für recycelten Stahl ein Weltmarkt ist. Wir können – mit Sicherheit – sagen, dass wir die Stahl­industrie auf ihrem Weg zu grünem Stahl unterstützen können“, konstatierte Rolf Willeke.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 12/2023, Seite 20, Foto: Wirtschaftsvereinigung Stahl)