Europas Kunststoffrecyclingbranche steht vor einem kritischen Wendepunkt

Das europäische Kunststoffrecy­cling erlebt stürmische Zeiten. Welche Herausforderungen die Branche zu meistern hat, skizziert Henk Alssema, CEO des niederländischen Unternehmens Inviplast und Präsident der BIR Plastics Division:

Das Kernproblem der Kunststoffrecyclingbranche ist die wachsende Preisschere zwischen Neuware und Recyclingmaterial. Sie schreckt viele Kunden von der umweltfreundlicheren Option ab. Das Endresultat sind zunehmend ungenutzte Recyclingkapazitäten und unzureichende Einnahmen. Eine neue politische Entwicklung in Frankreich sorgt jedoch für positivere Nachrichten.

Die europäische Kunststoffrecyclingbranche steht derzeit vor einer der schwierigsten Phasen der letzten Jahrzehnte. Was über viele Jahre hinweg sorgfältig aufgebaut wurde, erodiert nun langsam. Bis Ende 2025 werden voraussichtlich fast eine Million Tonnen an jährlicher Recyclingkapazität im Vergleich zu 2023 verloren gehen, da Anlagen aufgrund unwirtschaftlicher Rahmenbedingungen geschlossen oder stillgelegt werden.

Die Nachfrage nach Rezyklaten schwächelt
Der Kern des Problems liegt in der sich öffnenden Preislücke zwischen Neuware und Recyclingmaterial. Die Preise für Polymer-Neuware sind in den letzten Monaten weiter gefallen und haben einen Mehrjahrestiefstand erreicht. Recyclingunternehmen sind jedenfalls weiterhin mit hohen Kosten für Sammlung, Sortierung und Verarbeitung konfrontiert. Die daraus resultierende Preisspanne erschwert zunehmend die Platzierung von Recyclingmaterial, selbst bei langjährigen Kunden. Wird die Lücke zu groß, greifen Verarbeiter wieder auf Neuware zurück.

Hinzu kommt, dass die Nachfrage nach Rezyklaten nach wie vor schwächelt. Die Auftragsbücher der Verarbeiter sind dünn, das Wirtschaftswachstum in Europa schleppend, und die reichliche Verfügbarkeit von Polymer-Neuware belastet den Markt weiterhin. Die einst vielversprechende Aussicht auf Kapazitätswachstum und steigende Nachfrage ist stillgelegten Anlagen, sinkenden Umsätzen und schwindendem Vertrauen gewichen.

Ein kleiner Lichtblick findet sich auf nationaler Ebene. In Frankreich führt ein neues Dekret, das am 1. Januar 2026 in Kraft tritt, Mindestanforderungen an den Recyclinganteil bestimmter Kunststoffprodukte und -verpackungen ein. Das Gesetz sieht zudem finanzielle Anreize für Hersteller vor, die diese Grenzwerte überschreiten, sowie Bestimmungen zur Förderung des Recyclings im Umkreis von 1.500 Kilometern. Beispielsweise müssen Kunststoffgetränkeflaschen bis 2029 mindestens 25 Prozent und ab 2030 30 Prozent rPET enthalten. Obwohl auf ein Land beschränkt, zeigt diese Maßnahme, welche konkreten Schritte unternommen werden können, um die Verwendung von Rezyklaten in Endprodukten zu fördern, und bietet einen Einblick in die Möglichkeiten umfassenderer politischer Maßnahmen.

Die Warnsignale leuchten rot
Auch international stagnieren die Fortschritte. Die jüngste Verhandlungsrunde zum Kunststoffvertrag der Vereinten Nationen im August in Genf endete ohne Einigung. Die Kluft zwischen den Ländern, die verbindliche Obergrenzen für die Neuproduktion fordern, und denen, die freiwillige nationale Maßnahmen bevorzugen, erwies sich als zu groß. Für die Recyclingindustrie ist dies ein schwerer Rückschlag: Solange es keine globalen Verpflichtungen hinsichtlich der Neuwareproduktion und neue Additive gibt, bleiben Rezyklate grundsätzlich im Nachteil.

Die Warnsignale leuchten rot: Die Branche nähert sich einem kritischen Wendepunkt. Entscheidend ist nun die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen, die den ökologischen Wert von Rezyklaten vollständig anerkennen. Ohne klare Preissignale für Neuharz und durchsetzbare Verpflichtungen zum Recyclinganteil sind weitere Desinvestitionen unvermeidlich in einer Zeit, in der Kunststoffabfallmengen weiterhin weltweit steigen.

Quelle: Bureau of International Recycling (BIR)

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2025, Seite 13, Foto: Tomra)